Julia präsentiert Träume aus 1001 Nacht 04
darum.“
„Aber ich will es stillen!“
Ishaq blinzelte, scheinbar wirklich überrascht. Aber bevor sie sicher sein konnte, wie sein Blick zu deuten war, hatte er ihn schon wieder abgewandt.
„Morgen ist noch genug Zeit dafür, Anna. Schlaf jetzt. Du brauchst jetzt vor allem Schlaf.“
Er schaltete das Licht aus, und jetzt war es ihr unmöglich, noch länger der Versuchung zu widerstehen, einfach die Augen zu schließen. „Gib ihr einen Kuss von mir“, murmelte sie.
„Ja.“
„Geben wir uns keinen Gutenachtkuss?“
Es dauerte ein paar Sekunden. Doch dann spürte sie seine Lippen auf ihren, federleicht. Sie wollte ihn umarmen, doch im selbem Moment richtete er sich wieder auf. Sie versuchte es noch einmal. „Ich wünschte, du würdest bei mir bleiben.“ Sehnsüchtig streckte sie die Arme nach ihm aus.
„Gute Nacht, Anna.“
Im nächsten Moment hatte Ishaq Ahmadi die Tür hinter sich geschlossen, und Anna war in der Dunkelheit, die sie umgab, allein. Nur das beständige leise Brummen der Flugzeugmotoren war zu hören.
4. KAPITEL
„Rasch, Herrin, rasch!“
Das Stimmengewirr und das fröhliche Lachen der Frauen entsprachen der freudigen Erregung, die ihr Herz erfüllte.
Sie lächelte erwartungsvoll. „Ich komme!“, rief sie.
Aber sie waren zu ungeduldig. Schon strömten sie hinaus auf den Balkon, den ein Baldachin vor der Hitze der Mittags sonne schützte. Eine Vielzahl von Geräuschen drang vom In nenhof herauf: die Rufe der Männer, das Getrappel der Pferde hufe. Irgendwo im Innern des Hauses stimmten Musiker ihre Instrumente.
„Da ist er! Er kommt gerade an!“, riefen die Frauen. „Rasch, beeilt Euch!“
Sofort stand sie auf. Sie war ganz in Weiß gekleidet. Fei ne, goldene Geschmeide zierten ihre Stirn, ihre Handgelenke und Fußknöchel. In der einen Hand trug sie eine weiße Rose. Draußen auf dem Balkon drängten sich die Frauen an die ge schnitzten Holzgitter, die sie vor den bewundernden, begie rigen Blicken der Männer schützten, und spähten durch die reichhaltigen kleinen Öffnungen der Schnitzereien.
Auf diese Weise konnten sie ungestört den gesamten Hof überblicken bis hin zu dem großen, zweiflügeligen Tor, das jetzt von zwei Wachposten in stattlichen Uniformen geöffnet wurde. Die berittene Eskorte näherte sich. Flaggen wehten im Wind. Die Männer ritten paarweise, ihre Pferde waren von ei ner Reihe zur nächsten prächtiger ausstaffiert, dem Rang ihrer Reiter entsprechend.
„Da! Da ist er!“, rief eine der Frauen, und mehrere andere fielen mit ein.
Ihr Blick wurde unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Er war sehr schön. Er hatte volles, schwarzes Haar und einen sorgfältig gestutzten Bart. Sein Ausdruck war ernst, verriet jedoch Humor. Er trug einen Umhang aus einem strahlend blauen, silberdurchwirkten Stoff. Sein silberner Brustpanzer schimmerte fast weiß. Eine dunkelblaue Schärpe zog sich straff über das glänzende Metall.
Der Griff seines Schwertes war mit Edelsteinen besetzt. Auch an seinen Fingern glänzten Ringe mit Edelsteinen. Doch keiner glänzte heller als seine Augen, als er nun zum Balkon hinaufblickte, so als wüsste er, dass sie dort oben war. Einen Herzschlag lang trafen sich ihre Blicke.
Von diesem Augenblick an gehörte ihr Herz ihm.
Als er am Balkon vorbeiritt, glitt ihr die Rose aus der Hand. Eine dunkle, starke Männerhand fing sie auf. Er drückte sie an seine Lippen, und sie seufzte auf, als hätte er statt der Rose ih ren Mund berührt.
Er blickte nicht noch einmal hinauf, schob die Rose jedoch unter seine Schärpe, wohl wissend, dass sie ihn von oben sehn süchtig beobachtete.
Ihr zitterten die Knie, dass sie sich an dem Wandschirm fest klammern musste.
„So stark, so schön“, murmelte sie. „Wie der schwarze Hengst, der ihn trägt.“
Die Frauen um sie herum lachten. „Ah, die Liebe, sie macht wirklich blind. Jetzt verwechselt unsere Herrin schon Schwarz mit Weiß“, riefen sie belustigt. „Der schwarze Hengst? Das Pferd des Prinzen ist doch weiß! Schaut noch einmal hin, Her rin.“
Sie blickte in die Richtung, in die sie deuteten. Inmitten der Reiterschar war einer, der deutlich prächtiger gekleidet war als alle anderen. Sein Brustpanzer war aus gehämmer tem Gold; sein mit Juwelen besetzter Turban wirkte wie aus reinem Gold; Rubine und Smaragde schmückten seine Hände und seine Ohren.
Die Frauen hatten recht. Ihr Bräutigam saß auf einem prachtvollen Pferd, dessen Fell so weiß war wie Schnee – ei nem makellosen
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