Julia präsentiert Träume aus 1001 Nacht 04
Schimmel.
Anna blinzelte schläfrig, als die Stewardess die Vorhänge aufzog. „Ist es denn schon Zeit zum Aufstehen?“, protestierte sie.
Die Stewardess drehte sich lächelnd zu ihr um. „Wir sind da, Madame.“
Stöhnend setzte Anna sich auf und streckte den Hals, um aus einem der Fenster blicken zu können. Sie flogen über das Meer. Es leuchtete tief blau. Etwas weiter weg sah man einen weißen Strand, üppigen, grünen Wald, dahinter ein Stück goldbraune Wüste und in der Ferne schneebedeckte Berge.
„Wo um alles in der Welt sind wir?“, fragte Anna verblüfft.
„Möchten Sie duschen, Madame?“
„Oh, ja!“ Dankbar ließ Anna sich ins angrenzende Bad führen und betrat die Duschkabine. Sie ließ das Wasser abwechselnd heiß und kalt über ihren Körper strömen. Heute schmerzten ihre Glieder, doch der Schmerz in ihrem Kopf hatte etwas nachgelassen.
Ihr Gedächtnis war allerdings immer noch sehr lückenhaft. Ihre Erinnerungen hörten weiterhin am Vorabend ihrer Abreise nach Frankreich abrupt auf. Sie konnte sich jedoch inzwischen erinnern, dass sie am Nachmittag davor mit Lisbeth einen Einkaufsbummel gemacht hatte, dass sie nach Hause gegangen war, um sich umzuziehen, und sich danach mit Cecile und Lisbet im Riverfront-Restaurant getroffen hatte. Ja, und sie konnte sich auch daran erinnern, wie sie das Restaurant verlassen hatte und dass fast im gleichen Moment auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Taxi angehalten hatte.
„Nimm du es, Anna, es fährt in deine Richtung“, hatte Lisbet noch gesagt, woraufhin sie dann über die Straße gerannt war.
Daran erinnerte sie sich, als ob es erst am Tag zuvor geschehen wäre.
An die zwei Jahre danach hatte sie absolut keine Erinnerung mehr. Als sie versuchte, eine Erklärung für diese so unwirkliche und unheimliche Situation zu finden, fing es in ihren Schläfen sofort wieder und unbarmherzig zu pochen an.
Dennoch erinnerte sie sich vage an den Traum, den sie in der letzten Nacht gehabt hatte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, der Mann auf dem schwarzen Hengst sei Ishaq Ahmadi gewesen.
Ob sie sich so zum ersten Mal begegnet waren? Hatte sie ihn von weitem gesehen und sich ihn verliebt?
Das könnte sie sich vorstellen. Wenn es einen Mann gab, den man nur einmal zu sehen brauchte, um ihn nie wieder zu vergessen, dann war das Ishaq Ahmadi. Aber er hielt ganz offensichtlich etwas vor ihr zurück. Wenn sie sich wirklich einmal geliebt hatten, und davon musste sie ausgehen, hatte irgendetwas ihre Liebe zerstört. Das spürte sie jedes Mal, wenn er sie ansah. Sein Blick sagte ihr, dass er sie eines Vergehens für schuldig hielt. Für attraktiv und begehrenswert hielt er sie vielleicht auch, aber auf keinen Fall für vertrauenswürdig.
Anna zuckte zusammen, als sie beim Waschen eine aufgeschürfte Stelle berührte. Jedenfalls musste sie wirklich einen Unfall gehabt haben, denn ihr ganzer Körper schmerzte, als wäre sie irgendwo gegengeprallt oder als ob man sie verprügelt hätte.
Einen Moment lang stand sie ganz still da. Angenommen, ein Mann schlug seine schwangere Ehefrau, weil sie ihn verlassen wollte …
Plötzlich fiel ihr ein, dass sie ja gleich landen würden, und sie drehte das Wasser ab. Nachdenklich betrachtete sie sich im Spiegel. Sie war immer noch zu dünn, genauso wie vor zwei Jahren, als sie das Baby verloren hatte. Unter ihren Augen waren dunkle Schatten.
Sie neigte dazu, schnell Gewicht zu verlieren, wenn sie unglücklich war. Ihrem Anblick nach zu urteilen musste sie in letzter Zeit sehr unglücklich gewesen sein, so unglücklich wie damals, als sie ihren Sohn verloren hatte. Die Frage war nur, war sie so dünn geworden, bevor sie Ishaq verlassen hatte, oder danach? Denn irgendwie hatte sie mittlerweile das sichere Gefühl, dass sie in der letzten Zeit mit Ishaq nicht zusammengelebt hatte.
Ihre Kleider lagen auf dem bereits frisch gemachten Bett. Die Bluse war frisch gebügelt, ihre Wildlederjeans gebürstet. Alles schien doch wunderbar geregelt zu sein. Anna atmete ein paarmal tief durch. Sie sollte aufhören, sich mit Fragen und Sorgen zu quälen.
Während sie auf ihre Sachen schaute, erinnerte sie sich, dass sie sie an jenem Freitagnachmittag gekauft hatte, als sie mit Lisbet bummeln gewesen war. Langsam ging sie zum Bett und hob die Bluse hoch. Das Etikett sah brandneu aus, und die Bluse schien noch nie gewaschen worden zu sein. Entweder brachte sie verschiedene Erinnerungen durcheinander, oder sie und Lisbet hatten
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