Julia präsentiert Träume aus 1001 Nacht 05
gewesen, und das in noch sehr jungen Jahren. Aber es hatte sie auch gelehrt, sich der Realität zu stellen, egal, wie bitter das manchmal war.
Jetzt drängte sich ihr eine sehr unangenehme Frage auf, auf die sie eine Antwort finden musste. Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen.
„Was ist, wenn … wenn sie das Lösegeld nicht zahlen können?“
Er schwieg eine Weile. In seinen Augen blitzte etwas auf, was sie sich nicht erklären konnte.
„In diesem Fall muss ich meine Ware auf einem größeren Markt anbieten“, antwortete er. Als sie ihn verständnislos ansah, fügte er hinzu: „Was glaubst du, wer wird sonst noch gut für eine attraktive junge Frau bezahlen?“
Sie sah ihn entsetzt an. Das … das konnte doch nicht sein Ernst sein. Konnte er … würde er tatsächlich …
Wortlos legte er den Turban an, schlüpfte in ein Paar Sandalen und verließ das Zelt, ohne ihr auch noch einen Blick zu gönnen.
Jetzt war sie allein. Er war fort. Wenn sie wollte, konnte sie fliehen. Aber wohin? Bestimmt war das Camp gut bewacht. Schließlich handelte es sich bei den Männern, die sie gefangen hielten, um Gesetzlose. Bei einem Fluchtversuch würde man sie gewiss gewaltsam zurückholen. Und selbst wenn ihr die Flucht gelingen sollte, wusste Katrina, dass sie es nicht zu Fuß bis nach Zuran City schaffen würde. Nein, sie hatte keine andere Möglichkeit, als brav hier zu warten, bis ihr Wärter wieder zurückkam und ihr sagte, was er mit ihr vorhatte.
Aber was konnte das sein?
Wie sollte sie sich verhalten, wenn er plötzlich herausfand, dass er sie begehrte? Bei diesem Gedanken fing ihr Herz heftig zu klopfen an. Die Vorstellung war sehr aufregend.
Neugierig sah sie sich im Inneren des Zelts um. Offensichtlich lohnte sich sein unehrenhaftes Leben. Davon zeugte jedenfalls die reiche Ausstattung.
Die Teppiche auf dem Boden und an den Wänden waren feinste Knüpfarbeit und von besserer Qualität als alles, was sie im Souk gesehen hatte. Vorsichtig strich Katrina mit dem Finger darüber. Das bestimmende Motiv auf dem Teppich war der Lebensbaum. Die Seidenfäden fühlten sich so warm an, als wären sie lebendig.
Auf dem reich geschnitzten Diwan waren prächtige Kissen aufgestapelt, sie glitzerten wie Juwelen. Die flackernden Öllampen warfen geheimnisvolle Schatten in den Raum, die die Sinnlichkeit der ganzen Umgebung noch betonten. Rechts vom Diwan lag eine Laute auf dem Boden, und an einer Wand stand ein Regal mit vielen Büchern darin.
Neugierig trat Katrina darauf zu und betrachtete sie. Das erste Buch, das ihr ins Auge fiel, war The Rubaiyat of Omar Khayyam , ein Gedichtband persischer Mystik. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie stellte das Buch ins Regal zurück und ließ sich auf einem der Kissen nieder. Noch immer hatte sie schreckliche Kopfschmerzen, sie fühlte sich physisch und psychisch erschöpft. Müde schloss sie die Augen.
Nachdenklich ging Xander durch die Reihe der anderen Zelte auf sein Zelt zu. Er sah kurz nach seinem Pferd. Als dieses ihn erblickte, wieherte es freudig auf und rieb den Kopf gegen seine Schulter. Der Junge, den er fürs Aufpassen bezahlte, sprang vom Boden auf und setzte sich dann langsam wieder, als er ihn erkannt hatte.
Katrinas Bemerkung über seine europäische Erscheinung nagte an ihm. Er musste wieder an seine Mutter denken, die von allen Zuranesen geliebt und respektiert worden war – mit Ausnahme von Nazir und Nazirs Vater. Wie ihm sein Halbbruder erzählt hatte, hatte sie mit Freuden die Lebensgewohnheiten ihres Mannes angenommen. Sie hatte die Wüste und die Menschen darin geliebt. Aber natürlich hatte sie nie ganz zu ihnen gehört, genauso wenig, wie er ganz zu ihnen gehörte. Sein Vater hatte darauf bestanden, dass er eine europäische Erziehung bekam, denn er wollte ihm dadurch ermöglichen, sein kulturelles Erbe kennenzulernen. Außerdem hatte er natürlich das Versprechen halten wollen, das er seiner Frau auf dem Sterbebett gegeben hatte. Aber Xander hatte nie das Gespräch vergessen, das sein Vater eines Tages mit einem britischen Kolonialbeamten geführt hatte, der die Aufgabe gehabt hatte, ihn nach England zu begleiten.
„Das Problem ist, der Junge lebt zwischen zwei Welten“, hatte der Diplomat kritisch bemerkt.
Und er hatte recht gehabt, wie Xander inzwischen wusste. Während ein Teil von ihm immer in die Wüste gehören würde, gab es einen anderen Teil, der sich auf dem diplomatischen Parkett in Washington, London und Paris sehr
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