Julia Quinn
sollte. »Er ist nicht böse auf Sie«, sagte er
schließlich.
Sie lachte kurz auf. »Wir sprechen
ganz offensichtlich nicht von derselben Person.«
»Ich meinte, was ich gesagt habe. Er
ist nicht böse auf Sie.« Er stieß die Schaufel in den Boden und trieb sie tief
in die Erde. »Er hat Angst vor Ihnen.«
Caroline begann so heftig zu husten,
dass James ihr auf den Rücken klopfte. Als sie wieder zu Atem gekommen war,
keuchte sie: »Entschuldigung.«
Schweigen breitete sich zwischen
ihnen aus, bevor James es brach. »Er war einmal verlobt.«
»Ich weiß.«
»Wissen Sie auch, was geschehen ist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nur, dass
sie gestorben ist.«
»Blake hat sie mehr als sein Leben
geliebt.«
Caroline musste schlucken und
bemerkte verwundert, wie schmerzhaft sich ihr Herz bei James' Äußerung
zusammenzog.
»Sie kannten sich ihr ganzes Leben
lang«, fuhr er fort. »Sie arbeiteten zusammen für das Kriegsministerium.«
»O nein«, rief sie, Böses ahnend,
und legte sich eine Hand an den Hals.
»Marabelle wurde von einem Verräter
getötet. Sie war an Blakes Stelle zu einem Treffpunkt gegangen, weil er eine
üble Halsentzündung oder etwas Ähnliches hatte.« James machte ein Pause, um
sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. »Er verbot ihr ausdrücklich zu
gehen, aber sie gehörte nicht zu der Sorte Frauen, die Verbote beachteten.
Sie lachte ihn nur aus und rief ihm zu, dass sie sich am Abend wieder sehen
würden.«
Caroline schluckte erneut, doch der
Kloß in ihrer Kehle löste sich dadurch nicht. »Wenigstens konnte ihre Familie
sich damit trösten, dass sie für ihr Vaterland gestorben ist«, sagte sie
bedrückt.
James verneinte das mit einem Kopf
schütteln. »Sie wussten es nicht. Ihnen wurde – wie allen anderen –
mitgeteilt, dass sie bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen sei.«
»Ich ... ich weiß nicht, was ich
sagen soll.«
»Da gibt es nichts zu sagen. Oder zu
tun. Das ist ja das Schlimme daran.« James sah einen Moment fort, den Blick in
die Ferne gerichtet, dann fragte er: »Wissen Sie noch, dass ich erwähnt habe,
Sie erinnerten mich an jemanden?«
»Ja«, antwortete Caroline langsam,
und in ihren Augen konnte man das wachsende Entsetzen lesen, als ihr
dämmerte, was nun kommen würde. »Oh, nein ... nicht sie!«
James nickte. »Ich bin mir nicht
sicher weshalb, aber Sie tun es.«
Sie biss sich auf die Lippe und
starrte nachdenklich auf ihre Füße. Lieber Gott, war das der Grund dafür, warum
Blake sie geküsst hatte? Weil sie ihn irgendwie entfernt an seine gestorbene
Verlobte erinnerte? Mit einem Mal fühlte sie sich sehr klein und unbedeutend.
Und gänzlich reizlos.
»Es ist eigentlich gar nichts«,
fügte James hinzu, ehrlich besorgt angesichts ihres unglücklichen
Gesichtsausdruckes.
»Ich wäre nie ein solches Risiko
eingegangen«, erklärte Caroline voller Entschiedenheit. »Nicht, wenn es
jemanden gäbe, den ich liebte.« Sie schluckte wieder. »Nicht, wenn ich jemanden
hätte, der mich liebte.«
James berührte ihre Hand. »Sie sind
in den vergangenen Jahren sehr einsam gewesen, nicht wahr?«
Aber Caroline hatte jetzt keine Zeit
für mitfühlende Bemerkungen. »Was geschah mit Blake?« fragte sie knapp. »Nachdem
sie gestorben war?«
»Er war am Boden zerstört. Hat sich
drei Monate lang betrunken. Er hat sich die Schuld gegeben.«
»Ja, das habe ich mir gedacht. Er
gehört zu der Sorte Männer, die sich für alles verantwortlich fühlen, nicht
wahr?«
James
nickte.
»Gewiss hat er jetzt begriffen, dass
es nicht seine Schuld war.«
»In seinem
Kopf vielleicht, aber nicht in seinem Herzen.«
Es gab eine lange Pause, in der sie
beide mit niedergeschlagenen Augen da standen. Als Caroline schließlich zu
reden begann, sprach sie leise und ungewöhnlich zögernd. »Glauben Sie wirklich,
dass er der Meinung ist, ich sähe aus wie sie?«
James schüttelte den Kopf. »Nein. Und
Sie sehen auch nicht aus wie sie. Marabelle war blond und hatte hellblaue Augen
und ...«
»Warum
haben Sie dann gesagt ...«
»Weil man nur selten auf eine Frau
mit so viel Mut und Geistesgegenwart trifft.« Als Caroline darauf nichts erwiderte, grinste James und fügte hinzu: »Das war übrigens als Kompliment gedacht.«
Caroline verzog die Lippen zu etwas,
das halb eine Grimasse, halb ein trockenes Lächeln war. »In dem Fall, danke.
Aber ich verstehe immer noch nicht ganz, warum er so ein Scheusal ist.«
»Betrachten Sie die Situation doch
einmal aus seinem Blickwinkel. Erst
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