Julia Quinn
»Was zum Teufel tun
Sie mit diesen Büchern hier draußen in der Halle?«
Sie sah zu ihm auf, geradewegs in
seine klaren grauen Augen. Verflixt. Wenn sie ihn schon
heute Morgen sehen musste, war es dann nötig, dass sie sich dabei auf
Händen und Knien befand? »Ich räume nicht um«, erklärte sie ihm in ihrem
hochnäsigsten Tonfall, »ich bringe diese Bücher auf mein Zimmer, wo ich sie zu
lesen gedenke.«
»Sechs Stück?« fragte er zweifelnd.
»Ich kann lesen und tue das gern und
viel.«
»Das habe ich nie bezweifelt.«
Sie schürzte die Lippen und
unterdrückte den Drang, ihm zu sagen, dass sie sich mit Lesematerial eindeckte,
um in ihrem Zimmer bleiben zu können, damit sie ihn nie wieder sehen musste.
Doch sie hatte das unbestimmte Gefühl, dies würde bloß wieder zu einem
endlosen, unnötig in die Länge gezogenen Streitgespräch führen, was das
Allerletzte war, was sie im Augenblick gebrauchen konnte. »Wäre da noch etwas,
was Sie von mir wollen, Mr. Ravenscroft?«
Dann wurde sie rot, schamrot.
Vergangene Nacht hatte er nur zu deutlich klargemacht, was er von ihr wollte.
Er machte eine ausladende
Handbewegung – eine Geste, die sie unerträglich herablassend fand. »Nichts«,
entgegnete er. »Überhaupt gar nichts. Wenn Sie lesen möchten, bitte schön.
Lesen Sie ruhig die ganze verfluchte Bibliothek, wenn es Ihnen Spaß macht. Wenn
es auch zu sonst nichts gut ist, wird es Sie doch aus Schwierigkeiten
heraushalten.«
Sie verkniff sich eine Erwiderung
darauf, aber es fiel ihr immer schwerer, so klug zu sein und den Mund zu
halten. Den Bücherstapel an ihre Brust drückend, fragte sie ihn: »Ist der
Marquis schon aufgestanden?«
Blakes Miene verfinsterte sich,
bevor er antwortete: »Er ist fort.«
»Fort?«
»Fort.« Und dann, als läge es im
Bereich des Möglichen, dass ihr die volle Bedeutung des Wortes entgangen wäre,
fügte er hinzu: »Ganz fort.«
»Aber wohin kann er denn gegangen
sein?«
»Vermutlich überallhin, solange es
ihn nur von unserer Gesellschaft befreit. Doch wie das Schicksal es will, ist
er auf dem Weg nach London.«
»Aber dann sind wir ja jetzt allein«,
entfuhr es ihr.
»Ganz allein«, pflichtete er ihr bei
und hielt ein Blatt Papier in die Höhe. »Würden Sie seine Nachricht gerne
selbst lesen?«
Sie nickte, nahm das Blatt aus
seinen Händen entgegen und las:
Ravenscroft!
Ich bin
auf dem Weg nach London, um Moreton über unsere Pläne und unsere neuesten
Erkenntnisse zu informieren. Ich habe die Kopie von Prewitts Akte dabei.
Mir ist klar, dass ich dich durch meine Abreise mit Caroline alleine lasse,
aber, ehrlich gesagt, ist das auch nicht unschicklicher, als wenn sie mit uns
beiden in Seacrest Manor wohnt.
Und außerdem treibt ihr beide mich
in den Wahnsinn.
Riverdale
Caroline sah mit besorgter Miene zu ihm auf.
»Diese Situation kann Ihnen nicht gefallen.«
Blake erwog ihre Antwort. Nein, es »gefiel«
ihm keineswegs, sie unter seinem Dach zu beherbergen, bloß eine Armlänge
entfernt. Es »gefiel« ihm nicht, dass das Objekt seines Verlangens in
Reichweite war. James hatte sich zwar als »Anstandsdame« nicht gerade bewährt –
er war ohnehin gewiss niemand, der ihren Ruf retten könnte, sollte etwas über
die ungewöhnlichen Umstände ihres Aufenthaltes in Seacrest Manor durchsickern –
doch er war wenigstens eine Art Puffer zwischen ihm und Caroline gewesen.
Alles, was jetzt noch zwischen ihm und dem Ende seiner Qualen und seiner
Wollust stand, war sein Gewissen.
Und sein Körper verlor langsam die
Geduld mit seinem Gewissen.
Er wusste, sollte er einen
ernsthaften Versuch unternehmen, Caroline zu verführen, wäre sie machtlos,
ihn aufzuhalten. Die kleine Unschuld war nie zuvor geküsst worden; sie hätte
nie gewusst, wie ihr eigentlich geschah, wenn Blake all die sinnlichen Waffen
eingesetzt hätte, die ihm zur Verfügung standen.
Natürlich durfte man die Anwesenheit
von Perriwick und Mrs. Mickle nicht unterschätzen. Die beiden Dienstboten
hatten Caroline in ihr Herz geschlossen, und Blake hegte keinen Zweifel daran, dass
sie ihre Tugend mit ihrem Leben schützen würden.
Er sah zu Caroline, die in ihre
eigenen Gedanken versunken schien. Dann hob sie plötzlich ihr Kinn und sagte:
»Wir haben uns ziemlich kindisch aufgeführt, nicht wahr?«
Ehe Blake auch nur dazu kam, zu
nicken, fügte sie schon hinzu: »Natürlich war es wirklich nicht so schlimm,
dass sich der Marquis genötigt fühlen müsste, hundert Meilen zwischen sich und
uns zu
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