Julia Quinn
tanzte. Sie war die schönste, anmutigste Frau, die ich je
gesehen habe. Manchmal hob sie mich hoch auf ihre Hüfte und tanzte mit mir
zusammen.«
Elizabeth versuchte, ihn mit einem
Lächeln zu trösten. »Das habe ich mit Lucas auch oft gemacht.«
James schüttelte den Kopf. »Sie war
nicht unbeholfen. Sie hat nie etwas umgestoßen oder ist gestolpert. Er hat sie
geschlagen, Elizabeth. Er hat ihr Tag für Tag wehgetan.«
Sie schluckte und biss sich auf die
Unterlippe. Plötzlich machte seine unbeherrschte Wut auf Fellport einen Sinn.
Diese Wut war mehr als zwei Jahrzehnte alt, sie hatte zu lange unter seiner
Oberfläche gebrodelt.
»Hat er ... hat er dich auch
geschlagen?« flüsterte sie.
»Niemals. Ich war schließlich der
Erbe. Daran erinnerte er sie die ganze Zeit. Nachdem sie mich ihm geschenkt
hatte, war sie für ihn wertlos geworden. Sie war zwar vielleicht seine Frau,
aber ich war sein Fleisch und Blut.«
Sie erschauerte und erkannte, dass
er Worte zitierte, die er viel zu oft gehört haben musste.
»Und er benutzte mich«, fuhr
James fort. Seine Augen waren ausdruckslos geworden, und seine Hände zitterten
leicht. »Er benutzte mich, um seinen Zorn auf sie steigern zu können. Er
stimmte niemals ihren Erziehungsmethoden zu. Wenn er sah, dass sie mich umarmte
oder tröstete, wenn ich weinte, dann bekam er einen Wutanfall. Dann brüllte er,
sie würde mich verhätscheln und zu einer Memme machen.«
»Oh, James.« Elizabeth strich
ihm über das Haar. Sie konnte nicht anders. Noch nie hatte sie einen Menschen
gesehen, der so nötig Trost brauchte.
»Also lernte ich, nicht mehr zu
weinen.« Er schüttelte den Kopf. »Und nach einiger Zeit entzog ich mich
auch ihren Umarmungen. Wenn er sie nicht dabei ertappte, wie sie mich umarmte,
dann würde er vielleicht aufhören, sie zu schlagen.«
»Aber er hörte nicht auf, nicht
wahr?«
»Nein. Es gab immer einen Grund, sie
auf ihren Platz zu verweisen. Und irgendwann ...« Er atmete stockend aus.
»Irgendwann beschloss er, dass ihr Platz unten am Fuß der Treppe war.«
Elizabeth spürte etwas Warmes auf
ihren Wangen und merkte erst jetzt, dass ihr die Tränen herunterliefen. »Was
wurde aus dir?«
»Das ist vielleicht der einzige
lichte Punkt in der ganzen Geschichte«, erklärte er, und seine Stimme
gewann wieder an Festigkeit. »Meine Tante – die ältere Schwester meiner Mutter – kam und holte mich von dort
weg. Ich glaube, sie hatte immer schon den Verdacht, dass meine Mutter misshandelt wurde, aber sie hatte sich nie träumen lassen, dass es so schlimm war.
Viel später gestand sie mir, dass sie lieber in der Hölle schmoren würde, als
zuzulassen, dass mein Vater anfing, mich auch zu misshandeln.«
»Glaubst du, dass er das getan
hätte?«
»Ich weiß es nicht. Als sein
einziger Erbe hatte ich noch eine Bedeutung für ihn. Aber da er jemand
brauchte, an dem er sich abreagieren konnte, nachdem Mama gestorben war
...« Er zuckte die Achseln.
»Deine Tante muss eine ganz
besondere Frau sein.«
Mehr denn je wollte er ihr die
Wahrheit sagen, aber er konnte es nicht. Noch nicht. »Das ist sie auch«,
bestätigte er mit vor Bewegtheit rauer Stimme. »Sie hat mich gerettet, so wie
man jemanden in letzter Sekunde aus einem brennenden Haus rettet.«
Elizabeth berührte seine Wange. »Sie
hat dich bestimmt wieder glücklich gemacht.«
»Sie versuchte wieder und wieder,
mich zu umarmen. Im ersten Jahr lief ich stets weg, weil ich dachte, mein Onkel
würde sie schlagen, wenn sie mich in den Arm nahm.« Er fuhr sich mit der
Hand durch das Haar und lachte zornig auf. »Kannst du dir so etwas vorstellen?«
»Sicher«, erwiderte sie ruhig.
»Schließlich war dein Vater bis dahin der einzige Mann, den du gekannt
hast.«
»Sie brachte mir bei zu
lieben.« Er seufzte. »Ich bin noch nicht bereit zu vergeben, aber ich
weiß, was Liebe ist.«
»Dein Vater verdient keine
Vergebung«, sagte sie. »Ich habe immer versucht, mich an Gottes Gebote zu
halten, und ich weiß, dass man auch die andere Wange hinhalten sollte, aber
dein Vater hat das nicht verdient.«
James schwieg eine Weile. »Er starb,
als ich zwanzig war. Ich ging nicht zu seiner Beerdigung.« Das war wohl
die schlimmste Rache, die ein Kind einem Elternteil antun konnte.
Elizabeth nickte mit grimmiger
Zustimmung. »Hast du ihn gesehen, als du größer wurdest?«
»Gelegentlich war das unvermeidlich,
ich war ja sein Sohn. Rein rechtlich hatte meine Tante eigentlich gar nichts in
der Hand. Aber sie
Weitere Kostenlose Bücher