Julia Quinn
selbst
versichern. »Tag für Tag. Aber ich war nicht stark genug, ich konnte nicht
...«
»Sag das nicht. Das war doch nicht deine
Schuld. Männer wie Fellport ...« James geriet ins Stocken. »Sie tun Frauen
weh. Es ist die einzige Art, wie sie sich stark fühlen können.«
Sie schwieg, und er konnte sehen,
wie sie versuchte, ihr Schluchzen zu unterdrücken.
»Diese ... diese Gewalttätigkeit ist
ein Defekt in seiner Persönlichkeitsstrukur. Nicht in deiner.« Er
schüttelte den Kopf und schloss kurz die Augen. »Du hast ihn ja nicht aufgefordert, das zu tun.«
»Ich weiß.« Ihre Lippen
verzogen sich bebend zu dem traurigsten Lächeln, das er je gesehen hatte. »Aber
ich konnte ihm keinen Einhalt gebieten.«
»Elizabeth, er ist fast doppelt so
groß und breit wie du!«
Sie atmete tief durch, löste sich
aus seiner Umarmung und lehnte sich matt mit dem Rücken
an die Wand. »Ich bin es müde, immer stark zu sein. Ich bin es so leid. Seit
dem Tag, als mein Vater starb ...«
James sah sie eindringlich an,
forschte in ihrem Blick, der plötzlich so leer wirkte, und das Gefühl einer
düsteren, beklemmenden Vorahnung stieg in ihm auf. »Elizabeth«, begann er
behutsam. »Wie sind deine Eltern gestorben?«
»Meine Mutter kam bei einem
Kutschenunglück ums Leben«, erwiderte sie, und ihre Stimme klang hohl.
»Alle haben es mit angesehen. Die zertrümmerte Kutsche ... Sie haben ihren
Körper zugedeckt, aber alle sahen, wie sie starb.«
Er wartete darauf, dass sie von
ihrem Vater sprach, doch es kam nichts. Also fragte er selbst schließlich
leise: »Und dein Vater?«
»Er hat sich umgebracht.«
James sah überrascht auf, und ein
wilder, unkontrollierbarer Zorn durchzuckte ihn. Er hatte keine Ahnung, was
ihren Vater in so tiefe Verzweiflung gestürzt haben mochte, aber Mr. Hotchkiss
hatte den Weg des Feiglings gewählt und seiner ältesten Tochter die Sorge um
seine Familie aufgebürdet.
»Was ist geschehen?« Er bemühte
sich, sich nichts von seinem Zorn anmerken zu lassen.
Elizabeth stieß einen Laut der
Verbitterung aus. »Es war ein halbes Jahr nach Mamas Unfall. Er ...« Sie
hatte Schwierigkeiten zu sprechen. »Er hat sie immer am meisten geliebt.«
James wollte etwas sagen, aber jetzt sprudelten ihr die Worte über die Lippen,
als sei ein Damm gebrochen. »Er konnte einfach nicht damit fertig werden«,
erzählte sie, und nun glänzten ihre Augen vor Zorn. »Von Tag zu Tag zog er sich
weiter an einen geheimen inneren Ort zurück, an dem wir ihn nicht erreichen
konnten. Und wir haben es so versucht! O Gott, wie haben wir es versucht.«
»Das weiß ich«, murmelte James
und legte den Arm wieder schützend um sie.
»Sogar Jane und Lucas. Wie früher
auch kletterten sie auf seinen Schoß, aber er schob sie wieder herunter. Er
wollte uns nicht umarmen, er wollte uns nicht berühren. Und zum Schluss wollte
er nicht einmal mehr mit uns sprechen.« Sie holte tief Luft. »Ich wusste
immer schon, dass er uns nicht so sehr liebte wie sie,
aber ich dachte, er liebte uns wenigstens genug.«
Sie ballte die Hand und presste sie
gegen ihren Mund. James streckte den anderen Arm aus, berührte ihre Finger und
war seltsam erleichtert, als sie ihre Hand in seine legte.
»Man hätte meinen sollen, dass er
uns genug liebte, um leben zu wollen.«
»Du brauchst nichts mehr zu
erzählen«, flüsterte James. Er wusste, dass ihn dieser Moment fortan wie
ein Albtraum begleiten würde. »Du brauchst es mir nicht zu sagen.«
»Nein.« Sie schüttelte den
Kopf. »Ich will es aber. Ich habe diese Worte nie ausgesprochen.« Er
wartete, bis sie gefasst genug war, um weitersprechen zu können. »Er hat sich
erschossen. Ich fand ihn im Garten. Da war so viel Blut ...« Sie schluckte
krampfhaft. »Ich habe noch nie so viel Blut gesehen.«
James schwieg. Es gab so vieles, was
er ihr sagen wollte, um ihr zu helfen, aber er wusste, dass Worte hier keinen
Trost spenden konnten.
Sie lachte verbittert. »Ich redete
mir ein, dass es ein letzter Akt der Rücksichtnahme war, dass er sich im
Garten erschossen hat. Ich musste so viele Male zum Brunnen gehen, aber
zumindest wurde das Blut dadurch direkt in die Erde gespült. Wenn er sich im
Haus erschossen hätte – weiß der Himmel, wie ich diese Spuren hätte beseitigen
sollen.«
»Was hast du gemacht?«
erkundigte er sich sanft.
»Ich habe dafür gesorgt, dass es wie
ein Jagdunfall aussah«, murmelte sie. »Ich habe seinen Körper in den
Wald geschleppt. Alle wussten, dass er Jäger war.
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