Julia Quinn
war stark, und sie schüchterte ihn ein. Er hatte noch nie zuvor
eine Frau gekannt, die sich ihm widersetzte. Er hatte einfach keine Ahnung, wie
er mit ihr umgehen sollte.«
Elizabeth beugte sich vor und küsste
ihn sanft auf die Stirn. »Ich werde deine Tante heute Nacht in meine Gebete
einschließen.« Sie legte ihm die Hand an die Wange und wünschte, sie
könnte die Zeit noch einmal zurückdrehen, um den kleinen Jungen von einst in den
Arm zu nehmen und ihm zu zeigen, dass die Welt ein sicherer Ort voller Liebe
sein konnte.
Er wandte das Gesicht und küsste
ihre Handfläche. »Ich danke dir«, flüsterte er.
»Wofür?«
»Dafür, dass du da bist. Dass du mir
zuhörst. Dass du einfach so bist, wie du bist.«
»Dann danke ich dir auch«, gab
sie leise zurück. »Für genau die gleichen Dinge.«
16. KAPITEL
Als James Elizabeth nach Hause
begleitete, hatte er das Gefühl, sein Leben geriete endlich wieder in eine
geregelte Bahn. Seit er nicht mehr für das Kriegsministerium arbeitete, hatte
er sich eigentlich eher treiben lassen. Er hatte der Zukunft mit Unbehagen
entgegengesehen, denn die Möglichkeiten, die sich ihm boten, fand er nicht
befriedigend. Er wusste, dass er heiraten musste, aber die Frauen in London
hatten keinerlei Reiz für ihn gehabt. Er wusste, er musste sich intensiver mit
seinen Besitzungen und Ländereien beschäftigen, aber es fiel ihm schwer,
Riverdale Castle als sein Zuhause zu betrachten, denn noch immer glaubte er,
dort überall den Schatten seines Vaters zu sehen.
Doch in nur einer Woche hatten die
Dinge eine ganz neue Richtung genommen. Zum ersten Mal seit über einem Jahr
wollte er wieder etwas.
Er wollte jemanden.
Er wollte Elizabeth.
Schon vor diesem Nachmittag war er
so von ihr bezaubert gewesen, dass er beschlossen hatte, sie zu heiraten.
Doch als er versuchte, Elizabeth im Stall zu trösten, war etwas Seltsames,
beinahe Magisches mit ihm geschehen.
Auf einmal hatte er ihr Dinge
erzählt, die er viele Jahre lang geheim gehalten hatte. Und je mehr Worte aus
ihm herausgeströmt waren, desto deutlicher hatte er gemerkt, wie die Leere in
ihm allmählich schwand. Ihm war klar geworden, dass er nicht bezaubert oder gar
verhext von Elizabeth war. Er brauchte sie. Und er würde keinen Frieden
finden, ehe er nicht jeden Millimeter ihres Körpers und jeden Winkel ihrer
Seele kannte. Wenn das Liebe war, dann ergab er sich ihr bereitwillig.
Trotzdem konnte er nicht so einfach
seine Verpflichtungen im Stich lassen, und er musste das Versprechen halten,
das er seiner Tante gegeben hatte. Er würde das Geheimnis um diesen elenden
Erpresser lüften. Nach allem, was Agatha für ihn als Kind getan hatte, war er
ihr das schuldig.
Elizabeth liebte Agatha, sie würde
es verstehen.
Er hatte jedoch nicht vor, tatenlos
herumzusitzen. Er hatte Agatha gesagt, man müsse am besten abwarten, bis sich
der Erpresser wieder meldete, und das stimmte auch, aber nun war er das Warten
leid.
Er warf einen Blick auf Elizabeths
Gesicht, sah diese wunderschönen blauen Augen und die makellose, zarte Haut und
fasste einen Entschluss. »Ich muss morgen nach London reisen«, teilte er
ihr abrupt mit.
Sie fuhr zu ihm herum. »Nach London?
Warum?«
»Ein paar unangenehme Familienangelegenheiten«, erwiderte er. Er hasste es zwar, dass er ihr nicht die volle Wahrheit sagen
konnte, dennoch war es tröstlich für ihn, dass es auch keine direkte Lüge war.
»Ich verstehe«, meinte sie
langsam.
Natürlich verstand sie nicht. Wie
sollte sie auch? Aber er konnte ihr nichts erzählen. Es war unwahrscheinlich,
dass Agathas Erpresser zu Gewalttätigkeit neigte, ganz ausschließen konnte er
diese Möglichkeit jedoch nicht. Nur wenn er Elizabeth völlig im Dunkeln ließ,
war ihre Sicherheit gewährleistet. »Ich komme bald zurück«, versprach
er. »Hoffentlich schon in einer Woche.«
»Du hast doch nicht vor, Fellport zu
verfolgen, oder?« Besorgt runzelte sie die Stirn. »Denn wenn du ...«
Er legte ihr sanft den Zeigefinger
auf die Lippen. »Ich habe nicht vor, Fellport zu verfolgen.«
Sie wirkte immer noch unsicher.
»Wenn du ihn wieder angreifst, wird man dich hängen!« beharrte sie. »Du
weißt doch sicher ...«
James brachte sie mit einem kurzen
und doch verheißungsvollen Kuss zum Schweigen. »Mach dir meinetwegen keine
Sorgen«, murmelte er und ergriff ihre Hände. »Ich muss noch ein paar Dinge
erledigen, ehe ...« Seine Stimme verlor sich, und er sah die stumme Frage
in Elizabeths Augen. »Wir werden
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