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Julia Quinn

Julia Quinn

Titel: Julia Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit List und Küssen
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eigenen
Landsitz. Er war riesig groß. Niemand, der nur halbwegs bei Vernunft war, würde
ihn auch nur zehn Mal an einem Tag umrunden, geschweige denn fünfzig Mal. Er
grübelte einen Augenblick – hatte Honoria ihn je dort besucht? Aber wann hätte
sie das tun sollen? Bestimmt nicht, als sie beide noch Kinder waren. Sein
Vater war nie für seine Gastfreundschaft berühmt gewesen, und außerdem hätte
Marcus ohnehin keinen Kameraden in das stille Mausoleum seiner Jugend einladen
wollen.
    Nach ungefähr zehn Minuten schien sich Honoria doch zu langweilen.
Und damit wurde es auch für Marcus langweilig, denn nun kauerte sie nur an
einem Baum, hatte die Ellbogen auf die Knie und das Kinn in die Hand gestützt.
    Doch dann hörte er jemanden kommen. Sie hörte es auch, sprang auf,
rannte zu ihrem Loch und steckte den Fuß hinein. Dann ließ sie sich unbeholfen
auf dem Boden nieder, wo sie eine so anmutige Pose einnahm, wie es nur möglich
war, wenn man mit einem Fuß in einem Maulwurfshügel steckte.
    Sie wartete einen Augenblick, offenbar in Alarmbereitschaft, bis
derjenige, der da durch den Wald streifte – wer immer es auch sein mochte –,
näher gekommen war, und stieß dann einen ziemlich glaubhaften Schrei aus.
    Bei all den weihnachtlichen Krippenspielen hatte sie offenbar eine
Menge gelernt. Hätte er nicht gerade mit eigenen Augen beobachtet, wie sie
ihren Unfall inszeniert hatte, dann wäre er jetzt überzeugt, dass sie sich
wirklich verletzt hatte.
    Gespannt wartete er darauf, wer sich nun zeigen würde. Und wartete.
    Und wartete.
    Sie wartete auch, aber wohl zu lange, sodass auch ihr zweiter
»Schmerzensschrei« ungehört verhallte. Niemand kam, um sie zu retten.
    Sie stieß einen letzten Schrei aus, der allerdings einiges an
Herzblut vermissen ließ. »Zum Kuckuck!«, stieß sie hervor und riss ihren
Fuß aus dem Loch.
    Marcus begann zu lachen.
    Sie schnappte entsetzt nach Luft. »Wer ist
da?«
    Verdammt, sie hätte das nicht hören sollen. Er kam hinter dem Baum
hervor, schließlich wollte er ihr keine Angst machen. »Marcus?«
    Grüßend hob er die Hand. Er hätte etwas
gesagt, doch sie lag immer noch auf dem Boden, und ihr Schuh war voll Erde. Und
ihr Gesicht ... Oh, etwas so Komisches hatte er noch nie gesehen. Sie war
empört und gedemütigt und schien sich zwischen den beiden Gefühlen nicht recht
entscheiden zu können.
    »Hör auf zu lachen!
    »Tut mir leid«, entschuldigte er sich gänzlich unzerknirscht.
Sie verzog das Gesicht zu einem urkomisch finsteren Ausdruck. »Was machst du
hier?«
    »Ich wohne hier.« Er trat näher und bot ihr die Hand – wie es
sich für einen Gentleman schickte.
    Ihre Augen wurden jetzt gefährlich schmal. Offenbar glaubte sie
ihm kein Wort.
    »Nun, ich wohne ganz in der Nähe«, verbesserte er sich. »Der
Pfad verläuft im Zickzack über der Grenze.«
    Endlich ergriff sie seine Hand und ließ sich von ihm aufhelfen.
Dann versuchte sie, den Schmutz von den Röcken zu klopfen, doch der Boden war
feucht gewesen, und so blieben die Krumen an dem Stoff hängen. Honoria
schimpfte leise vor sich hin und gab schließlich auf. »Wie lange bist du schon
hier?«
    Er grinste. »Länger, als du dir wünschen
würdest.«
    Sie stöhnte peinlich berührt auf: »Du würdest das nicht zufällig
für dich behalten?«
    »Ich verrate kein Wort«, versprach er. »Wen genau wolltest du
denn auf dich aufmerksam machen?«
    Sie schnaubte abfällig. »Also bitte. Du bist der Letzte, dem ich
das erzählen würde.«
    Er hob eine Braue. »Wirklich der
Letzte?«
    Sie warf ihm einen ungeduldigen Blick zu.
    »Du würdest es also eher dem König erzählen,
dem Premier ...«
    »Hör auf«, schalt sie – unterdrückte aber dabei ein Lächeln.
»Stört es dich, wenn ich mich wieder hinsetze?«
    »Nicht im Geringsten.«
    »Mein Kleid ist ja schon schmutzig.« Sie suchte sich einen
Platz am Fuß des Baumes. »Noch ein paar Minuten auf dem Boden können da nichts
mehr weiter anrichten.« Sie setzte sich und hob vielsagend die
Augenbrauen. »Jetzt ist übrigens der Moment gekommen, wo du mir sagen solltest,
dass ich frisch wie ein Gänseblümchen aussehe.«
    »Kommt auf das Gänseblümchen an, finde
ich.«
    Der ungläubige Blick, den sie ihm daraufhin zuwarf, war ihm so
vertraut, dass es beinahe komisch war. Wie viele Jahre verdrehte sie nun schon
die Augen über seine Bemerkungen? Vierzehn? Fünfzehn? Bisher war ihm das noch
gar nicht bewusst geworden, aber sie war gewiss die einzige Frau in

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