Julia Quinn
es noch ein Jahr mit ihr
aushalten. Und zweiundzwanzig ist noch nicht so alt zum Heiraten.«
»Du bist einundzwanzig«, stellte ihre Mutter fest und sah
auf. Honoria erstarrte. »Wie viel hast du gehört von dem, was ich gesagt
habe?«
»Nur den letzten Satz.«
Honoria hatte keine Ahnung, ob ihre Mutter die Wahrheit sagte.
Aber sie schienen eine stillschweigende Übereinkunft getroffen zu haben, keine
Fragen zu stellen, und so erwiderte Honoria: »Ich habe gemeint, dass es mir
nichts ausmacht, wenn ich erst nächstes Jahr heirate, und dann bin ich
zweiundzwanzig.«
»Das bedeutet ein weiteres Jahr im Familienquartett«, sagte
ihre Mutter und lächelte. Nicht boshaft, sondern vollkommen aufrichtig und
ermutigend.
Honoria fragte sich nicht zum ersten Mal, ob ihre Mutter nicht
vielleicht ein wenig taub war.
»Deine Cousinen freuen sich bestimmt, wenn du noch ein Jahr länger
mitspielst«, fuhr Lady Winstead fort. »Wenn du aufhörst, nimmt Harriet
deinen Platz ein, und sie ist wirklich noch ein bisschen jung. Ich glaube, sie
ist noch nicht einmal sechzehn.«
»Das wird sie erst im September«,
bestätigte Honoria. Ihre Cousine Harriet – Sarahs jüngere Schwester – war möglicherweise
das musikalisch unbegabteste Mitglied der Smythe-Smiths. Und das hieß wirklich
eine ganze Menge.
»Ich glaube, sie muss noch ein bisschen üben.« Lady Winstead
verzog das Gesicht. »Das arme Mädchen. Irgendwie bekommt sie den Bogen einfach
nicht raus. Es muss schwierig sein für sie, bei einer so musikalischen
Familie.«
Honoria versuchte, sie nicht anzustarren. »Nun ja«, sagte
sie, vielleicht eine Spur verzweifelt, »ich glaube, sie spielt lieber
Theater.«
»Kaum zu glauben, dass es zwischen dir und Harriet niemanden
gibt, der Geige spielt.« Lady Winstead runzelte die Stirn und setzte ihr
Werk fort.
»Nur Daisy«, erwiderte Honoria. Das war
eine weitere Cousine, aus einem anderen Zweig der Familie, Iris' jüngere
Schwester. »Aber die wurde schon rekrutiert, jetzt, wo Viola geheiratet
hat.«
»Rekrutiert?«, wiederholte ihre Mutter. »Das klingt ja, als
wäre es eine unangenehme Pflicht.«
Honoria schwieg einen Moment, versuchte, nicht mit offenem Mund
dazusitzen. Ihr war zum Lachen zumute. Oder vielleicht auch zum Weinen.
»Natürlich nicht«, rang sie sich schließlich ab. »Ich liebe unser
Quartett.«
Das entsprach sogar durchaus der Wahrheit. Sie probte gern mit
ihren Cousinen, selbst wenn sie sich vorher Watte in die Ohren stopfen musste.
Schrecklich waren nur die Auftritte.
Oder, wie Sarah es gern ausdrückte,
grauenvoll.
Grässlich.
Apokalyptisch.
(Sarah hatte schon immer einen Hang zur
Übertreibung gehabt.)
Aber aus irgendeinem Grund nahm Honoria die Peinlichkeit nie
persönlich und war daher in der Lage, die ganze Zeit zu lächeln. Und wenn sie
den Bogen an ihr Instrument legte, tat sie es voll Enthusiasmus. Schließlich
sah ihre ganze Familie zu, und es bedeutete ihnen so viel.
»Also, jedenfalls«, sagte sie, in der Absicht, das Gespräch auf
das vorherige Thema zurückzubringen, das allerdings so »vorherig« war,
dass sie sich nur mühsam daran erinnerte, »habe ich eigentlich nicht die
Absicht, die Saison auszulassen. Ich habe nur geredet. Konversation
gemacht.« Sie schluckte. »Dahergeredet eigentlich.«
»Es ist besser, einen guten Mann zu suchen, als sich Hals über
Kopf in die Katastrophe zu stürzen«, sagte ihre Mutter und klang dabei
schrecklich weise. »Deine Schwestern haben alle gute Ehemänner gefunden.«
Honoria stimmte zu. Zwar gehörten ihre Schwäger nicht unbedingt
zu der Sorte Mann, zu der sie sich hingezogen fühlte. Aber sie alle behandelten
ihre Frauen mit Respekt.
»Sie haben auch nicht alle in der ersten Saison geheiratet«,
fügte Lady Winstead hinzu, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen.
»Stimmt, aber ich glaube, am Ende der zweiten Saison waren sie
alle unter der Haube.«
»Wirklich?« Ihre Mutter sah auf und blinzelte. »Wahrscheinlich
hast du recht. Sogar Henrietta ...? Ach ja, ich glaube, das stimmt, ganz am
Ende.« Sie wandte sich wieder ihrem Werk zu. »Du findest schon auch noch
jemanden, da mache ich mir gar keine Sorgen.«
Honoria stieß ein leises Schnauben aus. »Wie schön, dass du dir
keine machst.«
»Ich weiß nicht recht, was letztes Jahr passiert ist. Ich dachte
wirklich, dass Travers dir einen Antrag machen würde. Oder wenn nicht er, dann
Lord Fotheringham.«
Honoria schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Ich hatte
eigentlich auch damit
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