Julia Quinn
Was soll das heißen? Es geht um sein Bein!«
»Das ist mir durchaus bewusst«, erwiderte ihre Mutter. »Aber
ich verspreche dir, es wird ihm nicht schaden, wenn ich zu viel
wegschneide.«
»Nicht schaden ...«
»Nun ja, wehtun wird es ihm natürlich schon.« Bedauernd sah
Lady Winstead auf Marcus hinunter. »Deswegen mussten wir ihn ja festbinden.
Aber es wird keinen dauerhaften Schaden anrichten. Es ist besser, zu viel wegzuschneiden als zu wenig. Es
ist absolut unabdingbar, dass wir den gesamten Entzündungsherd
herausschneiden.«
Honoria nickte. Es klang logisch. Es war ekelhaft, aber es klang
logisch.
»Ich fange jetzt an«, erklärte ihre Mutter. »Ich kann auch
ohne Schere schon eine ganze Menge tun.«
»Natürlich.« Honoria sah zu, wie Lady Winstead sich an
Marcus' Seite setzte und ein Tuch ins dampfende Wasser tauchte. »Kann ich dir
irgendwie helfen?«, fragte Honoria, die sich am Fußende des Bettes etwas
fehl am Platz fühlte.
»Setz dich auf die andere Seite«, antwortete ihre Mutter.
»Ans Kopfende. Rede mit ihm. Vielleicht findet er darin Trost.«
Honoria war sich nicht so sicher, dass sie Marcus überhaupt mit
irgendetwas trösten könnte, aber sie wusste, dass sie Trost darin finden
würde. Alles wäre besser, als wie ein Dummkopf herumzustehen und gar nichts zu
tun.
»Hallo, Marcus«, sagte sie und zog einen Sessel ans Bett. Sie
erwartete keine Antwort, und es kam auch keine.
»Du bist ziemlich krank, weißt du«, fuhr
sie fort und versuchte dabei, ihre Stimme munter und fröhlich klingen zu
lassen, auch wenn die Worte eine ganz andere Botschaft übermittelten. »Aber wie
sich herausstellt, ist meine Mutter tatsächlich Expertin auf diesem Gebiet.
Ist das nicht erstaunlich?« Stolz blickte sie zu ihrer Mutter hinüber.
»Ich muss zugeben, ich hatte keine Ahnung, dass sie sich mit solchen Dingen
auskennt.« Sie beugte sich vor und murmelte ihm ins Ohr: »Eigentlich hatte
ich gedacht, sie gehört zu den Leuten, die beim Anblick von Blut in Ohnmacht
fallen.«
»Das habe ich gehört«, sagte ihre Mutter.
Honoria lächelte ihr entschuldigend zu. »Tut
mir leid. Aber ...«
»Kein Grund, dich zu entschuldigen.« Ihre Mutter sah sie mit
ironischem Lächeln an, ehe sie mit ihrer Aufgabe fortfuhr. Als sie dann noch
etwas sagte, blickte sie nicht mehr auf. »Ich war nicht immer ... «
Eine kurze Pause trat ein, lang genug, damit
Honoria erkennen konnte, dass ihre Mutter nicht recht wusste, was sie sagen
sollte.
»So energisch, wie du es vielleicht von mir gebraucht
hättest«, schloss Lady Winstead schließlich.
Honoria saß ganz still da und ließ die Worte ihrer Mutter auf sich
wirken. Es war eine Entschuldigung, genau so, als hätte ihre Mutter explizit
gesagt: Es tut mir leid.
Aber es war auch eine Bitte. Ihre Mutter wollte nicht weiter
darüber sprechen. Es war ihr schon schwer genug gefallen, das zu sagen, was sie
gesagt hatte. Und so nahm Honoria die Entschuldigung auf genau die Art
entgegen, die sich ihre Mutter erhofft hatte. Sie wandte sich wieder an Marcus
und sagte: »Jedenfalls glaube ich nicht, dass schon mal irgendwer auf die Idee
gekommen ist, sich dein Bein anzusehen. Es lag an deinem Husten, weißt du. Der
Arzt dachte, das sei der Grund für das Fieber.«
Marcus stieß einen leisen Schmerzenslaut aus. Honoria sah rasch zu
ihrer Mutter, die sich nun mit einer Schere zu schaffen machte, die Mrs
Wetherby ihr gebracht hatte. Sie hatte sie ganz geöffnet und ein Ende wie ein
Skalpell auf Marcus' Bein angesetzt. Mit einer einzigen flüssigen Bewegung
machte sie dann einen langen Schnitt, direkt an der Mitte der Wunde.
»Er hat nicht einmal gezuckt«, sagte
Honoria erstaunt.
Lady Winstead sah nicht auf. »Das ist nicht das, was wehtut.«
»Oh«, sagte Honoria und wandte sich wieder an Marcus. »Na
also, so schlimm war das ja nicht.«
Er schrie.
Honoria sah gerade noch, wie ihre Mutter dem Lakaien eine Flasche
Brandy zurückgab.
»Also, das war jetzt schon schlimm«, räumte sie ein. »Aber
die gute Nachricht ist, dass es wohl kaum noch schlimmer wird.« Er schrie
noch einmal.
Honoria schluckte. Ihre Mutter hatte die Schere neu angesetzt und
schnitt nun tatsächlich das Gewebe zurück.
»Also schön«, sagte sie und tätschelte ihm die Schulter.
»Besser wird es wohl auch nicht. Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung. Aber ich bleibe die ganze Zeit an deiner Seite,
versprochen.«
»Das ist schlimmer, als ich dachte«, sagte ihre Mutter hauptsächlich
zu sich
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