Julia Quinn
einmal: »Ich weiß. Es war eine rhetorische Frage. An mich
selbst!«
»Dabei gibt es eine vollkommen stichhaltige Antwort darauf«,
erklärte Daisy beleidigt.
Honoria wandte sich Hilfe suchend an Iris. Sie waren beide
einundzwanzig, doch Iris nahm dieses Jahr zum ersten Mal am Konzert teil: Ihre
Schwester Marigold hatte den Cellopart bis zu ihrer Heirat im letzten Herbst in
ehernem Griff gehabt. »Hast du einen Vorschlag?«, fragte Honoria betont
fröhlich.
Iris verschränkte die Arme vor der Brust und sackte auf ihrem
Platz zusammen, es wirkte fast so, als wollte sie sich selbst so lange
zusammenfalten, bis nichts mehr von ihr zu sehen war. »Irgendwas ohne
Cello«, murrte sie.
»Wenn ich mitspielen muss, musst du auch mitspielen«, versetzte
Sarah und lächelte triumphierend.
Iris sah sie mit dem geballten Zorn der missverstandenen
Künstlerin an. »Du verstehst das nicht.«
»Oh doch«, antwortete Sarah mit viel Gefühl. »Ich habe
letztes Jahr gespielt, wenn du dich erinnerst. Ich hatte also ein ganzes Jahr
Zeit, es zu verstehen.«
Daisy wurde ungeduldig. »Warum beklagt ihr euch nur alle. Das ist
doch aufregend! Wir dürfen auftreten. Wisst ihr überhaupt, wie lange ich schon
auf diesen Tag warte?«
»Ungefähr so lange, wie ich mich davor
fürchte«, brummte Iris.
»Wirklich kaum zu glauben, dass ihr beiden Schwestern seid«,
merkte Sarah an.
»Ich staune auch jeden Tag darüber«,
erklärte Iris rundweg.
»Es sollte ein Klavierquartett sein«, warf Honoria rasch ein,
ehe Daisy bemerkte, dass sie eben beleidigt worden war. »Leider gibt es da
nicht allzu viel Auswahl.«
Niemand äußerte eine Meinung dazu.
Honoria unterdrückte ein Stöhnen. Es war offenkundig, dass sie die
Führung übernehmen musste, wenn sie nicht im musikalischen Chaos versinken
wollten. Obwohl das Chaos im Vergleich zu dem, was die Smythe-Smiths sonst
ablieferten, vielleicht sogar eine Verbesserung wäre.
Traurig, aber wahr.
»Mozarts erstes Klavierquartett oder Mozarts zweites Klavierquartett.«
Sie hielt zwei Notenblätter hoch. »Hat eine von euch eine Meinung dazu?«
»Das, was wir letztes Jahr nicht gespielt haben«, seufzte Sarah.
Sie lehnte den Kopf auf das Klavier und ließ ihn dann tatsächlich auf die
Tasten sinken.
»He, das klang gut«, sagte Daisy
überrascht.
»Es klang wie ein Fisch, der sich übergibt«, sprach Sarah in
das Klavier.
»Was für ein reizendes Bild«,
kommentierte Honoria.
»Ich glaube nicht, dass Fische sich übergeben«, kritisierte
Daisy. »Und wenn, dann würden sie wohl nicht so klingen ...«
»Könnten wir nicht die Ersten sein, die meutern?«, unterbrach
Sarah sie und hob den Kopf. »Könnten wir nicht einfach Nein sagen?«
»Nein!«, heulte Daisy auf.
»Nein«, fand auch Honoria.
»Ja?«, flehte Iris mit schwacher Stimme.
Sarah blickte Honoria fest in die Augen: »Ich kann einfach nicht
glauben, dass du das noch einmal auf dich nehmen willst.«
»Es ist Tradition.«
»Es ist eine ganz elende Tradition, und ich brauche ein halbes
Jahr, um mich davon zu erholen.«
»Ich werde mich nie davon erholen«, prophezeite Iris. Honoria
dachte an Marcus und zwang sich dann, nicht an Marcus zu denken. »Es ist Tradition«, wiederholte sie. »Und
wir haben Glück, einer Familie anzugehören, die Wert auf Tradition legt.«
»Wovon
redest du?«, fragte Sarah kopfschüttelnd.
»Es gibt Leute, die haben niemanden«, erklärte Honoria leidenschaftlich.
Sarah starrte sie noch einen Augenblick an und sagte dann noch
einmal: »Tut mir leid, aber wovon redest du?«
Honoria war sich bewusst, dass ihre Stimme vor Erregung anschwoll,
konnte aber nichts dagegen tun. »Es macht mir vielleicht keinen Spaß, auf
einer musikalischen Soiree aufzutreten, aber ich liebe es, mit euch
allen zu proben.«
Ihre Cousinen starrten sie verblüfft an. Für einen Moment hatte es
ihnen tatsächlich die Sprache verschlagen.
»Ist euch denn nicht klar, was für ein Glück wir haben?«,
fragte Honoria. Und als keine ihr eifrig zustimmte, fügte sie hinzu: »Dass wir
einander haben?«
»Könnten wir uns nicht auch bei einem Kartenspiel haben?«,
schlug Iris vor.
»Wir sind Smythe-Smiths«, stieß Honoria hervor, »und wir
machen Musik.« Und bevor Sarah Einspruch erheben konnte, ergänzte sie
rasch: »Du auch, auch wenn du anders heißt. Deine Mutter war eine Smythe-Smith,
und das ist es, was zählt.«
Sarah seufzte – lange, laut und
erschöpft.
»Wir heben jetzt unsere Instrumente und spielen
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