Julia Quinn
himmlisch geschmeckt. Oh.« Sie versuchte
nicht zu lächeln. »Tut mir leid. Deiner Miene entnehme ich, dass du keins
gehabt hast.«
»Dabei versuche ich schon den ganzen Abend, hierher zu gelangen.«
Sie bemühte sich um einen optimistischen Ton: »Vielleicht gibt es
ja Nachschub.«
Er hob eine Augenbraue und sah sie nur an.
»Vermutlich nicht«, räumte sie ein. »Tut mir schrecklich
leid. Vielleicht könnten wir Lady Bridgerton fragen, wo sie sie herhatte. Oder
...«, sie schenkte ihm ihren listigsten Blick, »... wenn ihr eigener Koch
sie zubereitet hat, könnten wir versuchen, ihn abzuwerben.«
Er lächelte. »Wir könnten auch einfach
tanzen.«
»Das könnten wir auch tun«, stimmte sie glücklich zu. Sie legte
ihre Hand auf seinen Arm und ließ sich von ihm in die Mitte des Ballsaal
geleiten. Sie hatten schon öfter miteinander getanzt, sogar ein, zwei Walzer
waren dabei gewesen, aber dies hier fühlte sich anders an. Schon bevor die
Musik einsetzte, hatte sie das Gefühl, mühelos über den gebohnerten
Parkettboden zu gleiten. Und als er ihr die Hand auf die Taille legte und sie
ihm in die Augen blickte, breitete sich in ihrem ganzen Körper ein heißes,
fließendes Gefühl aus.
Sie war schwerelos. Sie war atemlos. Sie fühlte sich hungrig,
sehnsüchtig. Sie wollte etwas, was sie nicht näher beschreiben konnte, und sie
wollte es mit einer Heftigkeit, die ihr eigentlich hätte Angst machen sollen.
Aber sie hatte keine Angst. Nicht, solange Marcus' Hand auf ihrem
Rücken lag. In seinen Armen fühlte sie sich sicher, auch wenn sie sich gerade
in einen regelrechten Rauschzustand steigerte. Sie spürte seine Wärme durch
ihre Kleider, das war eine derart erregende Empfindung, dass sie sich am
liebsten auf die Zehenspitzen gestellt hätte und davongeflogen wäre.
Sie wollte ihn. Plötzlich wurde ihr klar: Was sie fühlte, war
Begehren.
Kein Wunder, dass Frauen sich für dieses Gefühl ruinierten. Sie
hatte von jungen Mädchen gehört, die »Fehler« begangen hatten. Die Leute
tuschelten, dass sie liederlich seien, dass sie verführt worden seien. Honoria
hatte das nie recht verstanden. Warum sollte jemand lebenslange Sicherheit für
eine einzige Nacht der Leidenschaft aufs Spiel setzen?
Jetzt wusste sie, warum. Und hätte gern
dasselbe getan.
»Honorig?«, drang Marcus' Stimme in ihre
Träumereien ein.
Sie blickte auf und begegnete seinem neugierigen Blick. Die Musik
hatte bereits begonnen, doch sie hatte die Füße noch nicht bewegt.
Er neigte den Kopf, als wollte er eine Frage stellen. Doch er brauchte
nichts zu sagen, und sie brauchte nicht zu antworten. Stattdessen drückte sie
seine Hand, und dann begannen sie zu tanzen.
Zum Klang der an- und abschwellenden Musik
folgte Honoria Marcus' Führung, die Augen auf sein Gesicht gerichtet. Die
Musik trug sie, und zum ersten Mal im Leben verstand sie, was es hieß zu
tanzen. Ihre Füße bewegten sich im Rhythmus des Walzers – eins-zwei-drei,
eins-zwei-drei –, und ihr Herz tanzte mit.
Der Klang der Geigen prickelte auf ihrer Haut. Die Holzblasinstrumente
kitzelten sie in der Nase. Sie wurde eins mit der Musik, und als es vorbei war,
als sie sich voneinander lösten und sich mit einer Verbeugung und einem Knicks
verabschiedeten, da fühlte sie sich beraubt.
»Honoria?«, fragte Marcus leise. Er wirkte besorgt. Allerdings
galt seine Sorge wohl nicht ihren Gefühlen für ihn, sondern ging vermutlich
eher in die Richtung Oh Gott, sie wird mir doch jetzt nicht krank werden!
Er sah jedenfalls nicht aus wie jemand, der sich verliebt hatte.
Er sah vielmehr aus wie jemand, der fürchtete, dass sein Gegenüber
möglicherweise an einer schlimmen Magenverstimmung litt.
Sie hatte mit ihm getanzt und sich dabei wie verwandelt gefühlt.
Sie, die weder eine Melodie halten noch einen Rhythmus klopfen konnte, war in
seinen Armen regelrecht verzaubert worden. Der Walzer war himmlisch gewesen,
und es brachte sie schier um, dass es ihm ganz offensichtlich nicht so ging.
Das war doch nicht möglich. Sie konnte sich kaum auf den Beinen
halten, und er sah einfach aus ...
Wie er selbst.
Derselbe alte Marcus, der sie als Last empfand. Eine nicht ganz
unangenehme Last, aber dennoch eine Last. Kein Wunder, dass er Daniels Rückkehr
kaum erwarten konnte. Denn für ihn hieß das, dass er London verlassen und aufs
Land zurückkehren konnte, wo er viel glücklicher war.
Es hieß, dass er wieder frei wäre.
Er sagte ihren Namen noch einmal, und irgendwie gelang es
Weitere Kostenlose Bücher