Julia Quinn
behalten?«
»Natürlich.«
»Daniel hat ihn gebeten, ein Auge auf mich zu haben, während er
weg ist.«
Sarah war nicht beeindruckt. »Warum ist das
ein Geheimnis?«
»Ist es wohl eigentlich gar nicht. Nun ja, doch, es ist schon
eins. Weil mir niemand davon erzählt hat.«
»Woher weißt du es dann?«
Honoria spürte, wie ihre Wangen heiß wurden.
»Ich habe möglicherweise etwas gelesen, was nicht für mich bestimmt war.«
Sarah riss die Augen auf. »Wirklich?«, sagte sie und beugte
sich vor. »Das sieht dir aber gar nicht ähnlich.«
»Es geschah in einem Moment der
Schwäche.«
»Den du jetzt bedauerst?«
Honoria dachte einen Augenblick nach. »Nein«, räumte sie
schließlich ein.
»Honoria Smythe-Smith«, verkündete Sarah und grinste dabei
über das ganze Gesicht, »ich bin so stolz auf dich.«
»Ich würde ja fragen, warum«, erwiderte Honoria misstrauisch,
»aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das so genau wissen möchte.«
»Das ist doch vermutlich das Ungebührlichste, was du je getan
hast.«
»Das stimmt nicht!«
»Ach, vielleicht hast du bislang ja nur
vergessen, mir zu erzählen, wie du damals nackt durch den Hyde Park gelaufen
bist.«
»Sarah!«
Sarah lachte. »Jeder hat doch mal irgendwann irgendetwas gelesen,
was nicht für ihn bestimmt war. Ich bin einfach froh, dass du dich entschieden
hast, dich dem Rest der Menschheit anzuschließen.«
»Ich bin gar nicht so steif und sittsam«, protestierte
Honoria. »Natürlich nicht. Aber als abenteuerlustig würde ich dich nun auch
nicht gerade bezeichnen.«
»Na, dich würde ich auch nicht unbedingt als abenteuerlustig
bezeichnen.«
»Nein.« Sarah ließ die Schultern hängen.
»Bin ich auch nicht.«
Einen Augenblick standen sie da, ein bisschen traurig, ein
bisschen nachdenklich. »Nun«, sagte Honoria und versuchte, wieder etwas
Leichtsinn in die Unterhaltung zu bringen, »das heißt ja wohl, dass du kaum
nackt durch den Hyde Park laufen wirst, oder?«
»Nicht ohne dich«, erwiderte Sarah
listig.
Honoria lachte und legte ihrer Cousine dann impulsiv den Arm um
die Schultern und drückte sie. »Ich hab dich lieb, das weißt du doch.«
»Natürlich weiß ich das.«
Honoria wartete.
»Ach, und übrigens, ich hab dich auch
lieb«, sagte Sarah.
Honoria lächelte, und einen Augenblick schien mit der Welt alles
in Ordnung. Oder zumindest normal. Sie war in London, auf einem Ball, neben
sich ihre Lieblingscousine. Nichts hätte normaler sein können. Sie legte den
Kopf schräg und ließ ihren Blick über die Menge schweifen. Es war wirklich
herrlich, einem Menuett zuzusehen. So ein anmutiger, vornehmer Tanz. Und
vielleicht war es ja Einbildung, aber es hatte doch den Anschein, als trügen
die Damen alle ähnliche Farben – auf dem Parkett leuchteten Blau-, Grün- und
Silbertöne.
»Es sieht fast aus wie auf einer Musikdose«, murmelte sie.
»Ja«, stimmte Sarah zu, zerstörte den poetischen Augenblick aber sogleich
mit der Bemerkung: »Ich hasse Menuett.«
»Wirklich?«
»Ja«, sagte sie. »Ich weiß nicht mal,
warum.«
Honoria sah den Tanzenden weiter zu. Wie oft hatten sie schon so
nebeneinandergestanden, sie und Sarah? Seite an Seite, beide mit Blick aufs
Geschehen, während sie sich gleichzeitig unterhielten. Sie kannten einander so
gut, dass sie auch ohne sich anzusehen ganz genau wussten, was gerade in der anderen
vorging.
Honoria beobachtete, wie Marcus und Cecily miteinander tanzten.
»Glaubst du, dass Cecily Royle es auf Marcus abgesehen hat?«, erkundigte
sie sich.
»Glaubst du das?«, fragte Sarah zurück.
Honoria blickte auf Marcus' Füße. Für einen so großen Mann war er
erstaunlich anmutig. »Ich weiß nicht«, murmelte sie.
»Würde es dir etwas ausmachen?«
Honoria dachte einen Augenblick darüber nach, wie viel von ihren
Gefühlen sie preisgeben wollte. »Ich glaube ja«, bekannte sie schließlich.
»Selbst wenn es so wäre, es spielt keine Rolle«, entschied Sarah.
»Er ist nicht an ihr interessiert.«
»Ich weiß«, sagte Honoria leise, »aber ich glaube nicht, dass
er an mir interessiert ist.«
»Wart es nur ab«, sagte Sarah und drehte sich endlich zu ihr
um, um ihr in die Augen zu sehen. »Wart's einfach ab.«
Etwa eine
Stunde später – Honoria stand gerade am Desserttisch und beglückwünschte sich
dazu, dass sie das letzte Eclair ergattert hatte – kam Marcus, um sie zum
versprochenen Walzer zu holen.
»Hast du
eines abbekommen?«, fragte sie ihn.
»Was
abbekommen?«
»Ein Eclair. Sie haben
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