Julia Quinn
schwieriges Stück
ausgewählt hättest«, warf Iris ihr vor.
Honoria stampfte mit dem Fuß auf. »Versuch jetzt nur nicht, mir
die Schuld in die Schuhe zu schieben. Ich bin nicht diejenige, die sich letzte
Woche die ganze Zeit darüber beschwert hat, dass ... Ach, vergiss es. Ich bin
hier, sie ist nicht hier, und ich wüsste nicht, wieso das meine Schuld sein
sollte.«
»Nein, nein, natürlich nicht«, meinte Iris und schüttelte den
Kopf. »Es ist nur ... Oh!« Sie stieß einen lauten Schrei zorniger
Erbitterung aus. »Ich kann nicht fassen, dass sie mir das antut.«
»Uns«, erinnerte Honoria sie ruhig.
»Ja, aber ich bin diejenige, die gar nicht erst auftreten wollte.
Dir und Daisy war es egal.«
»Mir ist nicht klar, was das damit zu tun
hat.«
»Ich weiß nicht«, heulte Iris. »Es ist nur, weil wir doch
alle in einem Boot sitzen sollten. Es sollte eine gemeinsame Unternehmung
sein. Das hast du gesagt, tagtäglich. Und wenn ich meinen Stolz
hinunterschlucken und mich vor jedem Menschen, den ich kenne, erniedrigen soll,
dann sollte Sarah das auch tun müssen.«
In diesem Augenblick kam Daisy ins Zimmer. »Was ist denn
los?«, fragte sie. »Warum regt Iris sich so auf?«
»Sarah ist nicht gekommen«, sagte
Honoria.
Daisy sah zu der Uhr auf dem Kaminsims. »Das ist aber unhöflich.
Sie ist schon fast eine halbe Stunde zu spät.«
»Sie kommt nicht«, erklärte Iris
rundheraus.
»Sicher wissen wir das noch nicht«,
wandte Honoria ein.
»Was soll das heißen, sie kommt nicht?«
Daisy konnte es offenbar nicht fassen. »Sie kann doch nicht einfach wegbleiben.
Wie sollen wir denn ein Klavierquartett aufführen ohne Klavier?«
Plötzlich senkte sich Schweigen über den Raum. Und dann keuchte
Iris plötzlich begeistert auf. »Daisy, du bist großartig!« Daisy wirkte
erfreut. »Wirklich?«
»Wir können das Konzert einfach absagen!«
»Nein!« Daisy schüttelte heftig mit dem Kopf. »Das will ich
nicht.«
»Uns bleibt gar nichts anderes übrig«,
fuhr Iris fort. Ihre Augen strahlten vor Freude. »Es ist, wie du gesagt hast.
Ohne Klavier können wir kein Klavierquartett aufführen. Oh, Sarah ist brillant!«
Honoria war keineswegs überzeugt. Sie liebte
Sarah von Herzen, aber es war schwer vorstellbar, dass sie etwas so Selbstloses
geplant hatte, vor allem unter den Umständen. »Glaubst du wirklich, dass sie
das gemacht hat, um uns die Möglichkeit zu geben, das Konzert abzusagen?«
»Mir ist egal, warum sie es getan hat«,
erwiderte Iris offen. »Ich bin nur so glücklich, dass ich ...« Einen
Augenblick verschlug es ihr tatsächlich die Sprache. »Ich bin frei! Wir sind
frei! Wir ...«
»Mädchen! Mädchen!«
Iris unterbrach ihren Begeisterungsausbruch, und die Cousinen
wandten sich zur Tür. Sarahs Mutter, ihre Tante Charlotte – dem Rest der Welt
als Lady Pleinsworth bekannt –, eilte ins Zimmer, gefolgt von einer jungen
dunkelhaarigen Frau, deren hochwertiges, aber furchtbar schlichtes Kleid sie
sofort als Gouvernante auswies.
Honoria beschlich ein sehr ungutes Gefühl. Nicht wegen der Frau.
Sie wirkte sehr nett, wenn ihr vielleicht auch ein wenig unbehaglich war, weil
sie in einen Familienstreit hineingezogen wurde. Doch Lady Pleinsworth hatte so
ein beängstigendes Glitzern in den Augen. »Sarah ist krank geworden«,
verkündete sie.
»Oh nein!«, rief Daisy aus und sank dramatisch auf einen
Sessel nieder. »Was sollen wir nur tun?«
»Ich bringe sie um«, murmelte Iris
Honoria zu.
»Natürlich konnte ich nicht zulassen, dass euer Auftritt abgesagt
wird«, fuhr Lady Pleinsworth fort. »Mit einer solchen Tragödie könnte ich
nicht mehr leben.«
»Und sie auch«, stieß Iris leise hervor.
»Mein erster Gedanke war, dass wir mit der Tradition brechen und
ein ehemaliges Mitglied des Ensembles auftreten lassen könnten, aber seit
Philippas Auftritt 1816 hatten wir keine Pianistin mehr im Quartett.«
Honoria starrte ihre Tante ehrfürchtig an. Erinnerte sie sich
tatsächlich an all diese Details, oder hatte sie sich das irgendwo
aufgeschrieben?
»Philippa steht kurz vor der
Niederkunft«, gab Iris zu bedenken.
»Ich weiß«, erwiderte Lady Pleinsworth. »Sie hat nicht mal
mehr einen Monat, die Ärmste, und ist entsprechend ausladend geworden. Geige
hätte sie noch spielen können, aber hinter das Piano hätte sie beim besten
Willen nicht mehr gepasst.«
»Wer hat vor Philippa gespielt?«,
erkundigte sich Daisy.
»Niemand.«
»Also, das kann unmöglich stimmen«, wandte Honoria
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