Julia Quinn
ein.
Achtzehn Jahre musikalische Soireen, und aus dem SmytheSmithschen Kreis waren
nur zwei Pianistinnen hervorgegangen?
»Es ist aber wahr«, bestätigte Lady Pleinsworth. »Ich war genauso
überrascht wie du. Ich habe mir alle unsere Programme angesehen, nur um
sicherzugehen. Meist hatten wir zwei Geigen, eine Viola und ein Cello.«
»Ein Streichquartett«, erläuterte Daisy überflüssigerweise.
»Die klassische Zusammensetzung eines Quartetts.«
»Dann sagen wir ab?«, fragte Iris, worauf Honoria ihr einen
warnenden Blick zuwarf. Iris klang ein wenig zu begeistert von dieser
Möglichkeit.
»Kommt nicht infrage«, sagte Lady Pleinsworth und wies auf
die junge Frau neben ihr. »Das ist Miss Wynter. Sie wird für Sarah
einspringen.«
Alle wandten sich der dunkelhaarigen Frau zu, die seitlich hinter
Lady Pleinsworth stand. Man konnte sie mit einem Wort beschreiben: hinreißend.
Alles an ihr war vollkommen, von ihrem glänzenden Haar bis zum milchweißen
Teint. Ihr Gesicht war herzförmig, ihre Lippen waren voll und rosig und ihre
Wimpern so lang, dass Honoria glaubte, sie müssten ihre Augenbrauen berühren, wenn
sie die Augen zu weit aufriss.
»Na«, murmelte Honoria Iris zu, »wenigstens wird uns niemand
ansehen.«
»Sie ist unsere Gouvernante«, erklärte
Lady Pleinsworth.
»Und sie spielt Klavier?«, fragte Daisy.
»Wenn nicht, hätte ich sie nicht hergebracht«, erwiderte Sarahs
Mutter ungeduldig.
»Es ist aber ein schwieriges Stück«, sagte Iris in beinahe
aufsässigem Ton. »Ein sehr schwieriges Stück. Ein sehr, sehr ...«
Honoria versetzte ihr einen Rippenstoß.
»Sie kennt es bereits«, erklärte Lady
Pleinsworth.
»Wirklich?«, fragte Iris. Voll Unglauben und, um der Wahrheit
die Ehre zu geben, Verzweiflung wandte sie sich an Miss Wynter.
»Wirklich?«
»Nicht sehr gut«, bekannte Miss Wynter mit weicher Stimme,
»aber ich habe Auszüge daraus bereits gespielt.«
»Die Programme sind schon gedruckt«, versuchte Iris es noch
einmal. »Für das Klavier steht dort Sarahs Name.«
»Zum Kuckuck mit dem Programm.« Lady Pleinsworth verlor
jetzt endgültig die Geduld. »Wir machen am Anfang einfach eine Ansage. Im
Theater tun sie das die ganze Zeit.« Sie wedelte mit der Hand in Miss
Wynters Richtung und stieß die junge Frau dabei aus Versehen gegen die
Schulter. »Betrachtet sie als Sarahs Zweitbesetzung.«
Darauf trat eine kleine, etwas unhöfliche
Pause ein. Schließlich rang Honoria sich durch. »Willkommen«, sagte sie
mit einer Bestimmtheit, der Iris und Daisy entnehmen konnten, dass sie ihrem
Beispiel besser folgen sollten, wenn sie nicht etwas erleben wollten. »Ich
freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Miss Wynter machte einen kleinen Knicks. »Ganz meinerseits, ähm
...«
»Oh, tut mir schrecklich leid«, sagte Honoria. »Ich bin Lady
Honoria Smythe-Smith, aber bitte, wenn Sie mit uns auftreten, müssen Sie uns
mit Vornamen ansprechen. »Das hier ist Iris, und das Daisy. Ebenfalls
Smythe-Smith.«
»Ich bin auch eine geborene Smythe-Smith«, fügte Lady
Pleinsworth hinzu.
»Ich heiße Anne«, sagte Miss Wynter.
»Iris spielt Cello«, fuhr Honoria fort, »und Daisy und ich
spielen beide Geige.«
»Dann verlasse ich euch nun, damit ihr in Ruhe proben könnt.«
Lady Pleinsworth ging zur Tür. »Ihr habt einen arbeitsreichen Nachmittag vor
euch.«
Kaum war sie draußen, ging Iris zum Angriff über. »Sie ist doch
gar nicht krank, oder?«
Anne fuhr zusammen, offensichtlich überrascht von dem heftigen
Ton. »Wie bitte?«
»Sarah«, erläuterte Iris nicht allzu freundlich. »Sie tut nur
so. Das weiß ich.«
»Da kann ich mir wirklich kein Urteil
erlauben«, sagte Anne diplomatisch. »Ich habe sie nicht einmal zu Gesicht
bekommen.«
»Vielleicht hat sie einen Ausschlag«, vermutete Daisy. »Sie
würde nicht wollen, dass jemand sie sieht, wenn sie Flecken im Gesicht
hat.«
»Ich kenne Lady Sarah nicht sehr gut«, erklärte Anne. »Ich
wurde erst dieses Jahr eingestellt, und Sarah braucht keine Gouvernante
mehr.«
»Sie würde ohnehin nicht auf Sie hören. Sind Sie denn überhaupt
älter als sie?«
»Daisy!«, tadelte Honoria. Lieber Himmel, an diesem Nachmittag
konnte sich wirklich keine benehmen.
Daisy zuckte mit den Schultern. »Wenn sie uns mit Vornamen
anspricht, kann ich sie wohl auch fragen, wie alt sie ist.«
»Älter als du jedenfalls«, versetzte Honoria, »und das bedeutet,
nein, du kannst sie das nicht fragen.«
»Es stört mich nicht«, erwiderte Anne
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