Julia Saison Band 01
ritterlich. Allerdings fiel es ihm zunehmend schwerer, zurückhaltend zu sein. Seit sie hier war, spürte er unablässig Verlangen nach ihr. Abends blieb er extra lange auf, um sicher zu sein, dass sie schlief, wenn er ins Bett ging.
Einmal hatte er sie kurz in dem süßen kleinen Etwas von Bademantel gesehen, und seitdem musste er ständig daran denken, wie es wäre, die Schlaufe aufzuziehen und seine Hände unter den Seidenstoff gleiten zu lassen, über ihren warmen, weichen Körper …
Ein Stromschlag durchfuhr ihn, und er zuckte zurück. Jetzt passierte es ihm schon, dass er aus Versehen an den elektrischen Zaun fasste! So weit war es also mit ihm gekommen.
Im Grunde hatte er sich nur auf die Wette eingelassen, um sich endgültig davon zu überzeugen, dass aus ihnen beiden nichts werden konnte. Doch jetzt merkte er, wie sehr Lilian sein Leben bereicherte. Nicht nur, dass sie ihm Arbeit abnahm. Mit ihr an seiner Seite hatte er einen völlig neuen Blick auf die Farm gewonnen. Er genoss jeden Moment und freute sich abends schon auf den nächsten Tag.
Besser, er gewöhnte sich nicht zu sehr daran. In ein paar Wochen würde er wieder allein sein.
Eigentlich ist es so ähnlich wie bei der Maniküre, dachte Lilian, während sie sich erneut über den Huf einer Ziege beugte. Nur dass sie nicht ihre eigenen gepflegten Nägel manikürte, sondern die Krallen der Ziegen trimmte. Seit Stunden stand sie nun schon in gebückter Haltung und nahm sich eine Ziege nach der anderen vor. Als sie fertig war, streckte sie ihren Rücken und rieb sich die schmerzenden Schultern. Während sie zum Haus zurückging, hörte sie wieder das Geschrei, das sich anhörte, als sei ein Kinderspielplatz in der Nähe. Sie blickte sich suchend um, und plötzlich sah sie auf der Ziegenweide etwas durch die Luft fliegen.
Sie blinzelte. Hatte sie vor Müdigkeit etwa schon Halluzinationen? Sie ging näher an die Weide heran, und diesmal erkannte sie das seltsame Flugobjekt. Eine der kleinen Ziegen kam in hohem Bogen angeflogen und landete im Gras. Zwei Sekunden später die nächste.
„Was ist denn das?“, rief Lilian und fing an zu lachen.
Die kleinen Ziegen sprangen von dem großen Felsbrocken in der Mitte der Weide und kreischten dabei vor Vergnügen wie kleine Kinder. Kaum waren sie unten, kletterten sie wieder hoch, stellten sich in Positur und setzten erneut zum Sprung an. Im Flug streckten sie die Beine nach hinten, sodass sie aussahen wie Skispringer. Das sah so lustig aus, dass Lilian sich vor Lachen den Bauch hielt. Und merkwürdigerweise boxten sie sich nicht gegenseitig, um dranzukommen, sondern sprangen brav der Reihe nach.
„Machen sie wieder ihre Zirkusnummer?“, fragte Christopher von hinten.
Lilian rieb sich die Tränen aus den Augen. „Hast du sie etwa dressiert?“
„Nein, es war ihre eigene Idee. Rufus ist der Beste. Ich habe schon überlegt, ob ich ihn zu den nächsten Olympischen Spielen anmelden soll.“ Gerade sprang eine kleine gefleckte Ziege vom Felsen, wobei sie die Beine in alle Himmelsrichtungen streckte.
Lilian schüttelte sich vor Lachen. „Du brauchst nicht in eine Comedy Show zu gehen, das hast du alles auf deiner Farm. Hast du gewusst, dass Ziegen so witzig sind, bevor du die Farm übernommen hast?“
„So genau wusste ich das nicht. Ich bin ja ein Stadtkind und war nur in den Ferien auf dem Hof meiner Großeltern. Das hat mir immer sehr gefallen.“
„Und wieso hast du dich für Ziegen und nicht für Rinder entschieden?“
Er zog seine Arbeitshandschuhe aus und steckte sie in die Hosentasche. „Ich wollte Ziegenkäse machen, außerdem dachte ich, Ziegen wären einfacher zu halten als Kühe, weil sie kleiner sind. Ich wollte ja nicht mehr als ein oder zwei Leute einstellen.“
„Praktisch gedacht.“
„Aber ich mag die Ziegen auch. Sie sind klug und zäh.“ Gerade vollführte Rufus einen Salto in der Luft. „Vor allem mag ich sie, weil sie ein bisschen verrückt sind. Einmal habe ich die Tür von meinem Geländewagen offen gelassen, weil ich schnell noch was holen wollte. Als ich zurückkam, saßen zwei Ziegen auf den Vordersitzen und guckten aus dem Fenster.“
„Ich finde, sie sind wie kleine Kinder.“
„Ja, und sie machen genauso viel Unsinn.“
Sie sah das Funkeln in seinen Augen und spürte plötzlich eine Art Sehnsucht, die sie nicht so recht einordnen konnte. Diese Farm war Christophers Leben, hier war sein Platz, und die Tiere waren für ihn Individuen. Vielleicht sehnte sie
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