Julia Saison Band 17
Auffassungsgabe. Eine sehr kluge und scharfsinnige Frau.
„Also ja“, nahm sie das Gespräch wieder auf. „Ich werde argovische Spezialitäten für Marys Familienkochbuch kochen. Wir kochen entweder auf Lazy H Ranch oder in deinem Haus.“
„Es ist unser Haus“, korrigierte Caleb sie.
Irina wandte den Blick von ihm ab und sah aus dem Fenster. „Du hast recht. Ich sollte ‚unser Haus‘ sagen. Ist wichtig, dass wir wie normales Ehepaar sind.“
„Wir sind ein normales Ehepaar. Zumindest für die nächsten zwei Jahre. Mindestens.“
Er war sich nicht sicher, weshalb er das Wörtchen ‚mindestens‘ so betont hatte.
„Das stimmt“, erwiderte sie in einem so demütigen Ton, dass er es kaum ertragen konnte. „Wir sind ganze zwei Jahre verheiratet.“
„Hör mal“, begann er ein wenig verdrießlich. „Ich möchte, dass du aufhörst, mich wie deinen Boss zu behandeln, okay?“
„Aber du bist doch mein …“
„Nein! Ich bin nicht mehr dein Boss!“ Er war so laut geworden, dass man es schon als Schreien bezeichnen konnte. Vollkommen unangemessen. Er atmete tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Als er weitersprach, hatte er seine Stimme wieder im Griff. „Nicht mehr. Nicht für die nächsten zwei Jahre.“
„Ja, ich weiß. Du hast recht.“
„Verdammt noch mal, Irina! Hör auf, so unterwürfig zu sein!“ Frustriert sah er sie an – und fühlte sich augenblicklich wie ein gewalttätiger Ehemann. Sie saß mit hängenden Schultern neben ihm, starrte wortlos auf ihre gefalteten Hände und hatte die Lippen zusammengepresst.
„Verdammt“, sagte er wieder, diesmal jedoch sanft und leise. „Irina …“
Endlich sah sie ihn an. In ihren großen, dunklen Augen schimmerten Tränen.
5. KAPITEL
Caleb fiel auf, dass er sie noch nie weinen gesehen hatte. Ein paar Mal während der letzten Woche, also seitdem er ihr angeboten hatte, sie zu heiraten, war sie zwar den Tränen nahe gewesen, doch letztendlich hatte sie sich immer unter Kontrolle gehabt.
Überhaupt schien sie ein Mensch zu sein, der seine Emotionen lieber für sich behielt. Er konnte sich nicht erinnern, jemals etwas anderes als Gleichmut an ihr beobachtet zu haben. Die wenigen Male, als ihre Augen verdächtig geglänzt hatten, waren es immer Tränen der Dankbarkeit gewesen.
Diesmal war es anders. Er hatte sie verletzt.
„Könntest du bitte etwas langsamer fahren?“, bat sie leise.
Mit einem Blick auf den Tacho stellte er fest, dass er fast 150 km/h fuhr. Noch eine seiner schlechten Eigenschaften. Abgesehen davon, dass er seine unschuldige Frau anschrie, war er ein Raser. Vor allem, wenn er seinen Audi A8 fuhr.
Schnell nahm er den Fuß vom Gaspedal und verringerte die Geschwindigkeit.
„Danke.“ Ihre Stimme klang immer noch viel zu verzagt.
Bei der nächsten Ausfahrt fuhr er ab und parkte nach einigen Hundert Metern auf dem Seitenstreifen der Landstraße. Er stellte den Motor aus, ließ aber das Licht angeschaltet.
„Wo sind wir?“ Sie klang beunruhigt. Hatte sie etwa Angst vor ihm?
Der Gedanke, dass sie sich von ihm bedroht fühlen könnte, verursachte ihm Übelkeit.
„Wir sind irgendwo im Nirgendwo und fahren gleich auf den Highway zurück. Aber vorher möchte ich mich entschuldigen. Es tut mir sehr, sehr leid, wenn ich dich beunruhigt oder dir womöglich sogar Angst gemacht habe.“
Sie sah ihn unverwandt an. Und dann, ohne Vorwarnung, fing sie an zu lachen. Es war ein hartes, unglückliches Lachen, das nichts mit Fröhlichkeit zu tun hatte.
Stirnrunzelnd sah er sie an. „Was soll das denn jetzt?“
„Ach, Caleb … Es hat doch nichts mit dir zu tun. Ich bin das Problem. Verstehst du?“
„Ähm … eigentlich nicht.“
„Ich musste in Vergangenheit lernen zu überleben. Ich lerne, dass es besser ist, nicht zu weinen. Nicht zu lachen. Immer auf Hut zu sein. Immer mit Schwierigkeiten zu rechnen. Das geht nur mit Gelassenheit. Keine Emotionen. Immer ruhig. Verstehst du?“
„Ich fange langsam an zu verstehen.“
„Aber jetzt …“
„Jetzt?“
„Jetzt ändert sich alles. Mir ist … war nicht klar, wie sehr Leben sich ändern würde, als wir unsere Greencard-Ehe geplant haben. Deine Familie ist so gut zu mir. Sind alle so nett. Auf einmal, ich fühle mich wie ganz neuer, anderer Mensch. Auf einmal sind da ganz neue Gefühle. Ich bin glücklich. Froh. Manchmal traurig. Ist alles zu viel, glaube ich. Und für alles bin ich dir so dankbar. So dankbar, dass ich immerzu weinen möchte.“
Nur mühsam konnte
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