Julia Saison Band 17
Lippen und einem energischen Kinn bestimmt, dessen Linien er zu gerne einmal mit den Fingern nachgezeichnet hätte.
Als ob das jemals passieren würde. Jared achtete immer darauf, Abstand zu halten. Das musste auch so bleiben, da er schwören könnte, dass er heute eine besondere Rundung an ihr bemerkt hatte.
Ihr Bauch.
Plötzlich schossen ihm schmerzliche Erinnerungen durch den Kopf. An die erste einsame Nacht bei seinem Onkel Stuart, nachdem dieser ihn zu sich auf seine Ranch geholt hatte, weil Jareds Eltern bei einem Zugunglück tödlich verunglückt waren. An einen Tag Jahre später, als er zufällig einen Brief im Büro seines Onkels entdeckte, von dem Mann, den er für seinen Vater gehalten hatte. In dem Brief stand, dass Jared adoptiert worden war. Die Leere, die er danach verspürte, hatte ihn dazu veranlasst, die Ranch zu verlassen, um sich der Rodeo-Tour anzuschließen. Dort fand er eine neue Familie, die Verständnis dafür aufbrachte, wenn jemand Distanz wahrte.
Denn das hatte er eigentlich gewollt. Doch nur kurze Zeit später hatte er geheiratet. Er hatte unbedingt jene Leere in sich ausfüllen wollen, die immer größer wurde, seit er wusste, dass er nicht derjenige war, für den er sich gehalten hatte.
Vor allem aber war da die Erinnerung an den Tag, als seine Exfrau zu ihm gesagt hatte: „Du wirst Vater.“ Und im nächsten Atemzug: „Es ist zu gefährlich für einen Vater, beim Rodeo wilde Pferde zu reiten, Jared.“
Doch er hatte den Nervenkitzel dieser acht Sekunden auf dem Rücken eines bockenden Pferdes zu sehr geliebt. Nur dann fühlte er sich wirklich lebendig. Deshalb fing er immer öfter an, mit seiner Frau zu streiten, und letztendlich hatte er Joelle in die Arme eines anderen getrieben. Ein guter Mann, so wie Tony Amati einer gewesen war – und er nicht.
Sein Egoismus war der Beweis dafür, dass er ohnehin keinen guten Vater abgegeben hätte. Also ließ er seine Exfrau und seine kleine Tochter in Ruhe, weil Joelle ihn ausdrücklich darum gebeten hatte.
Er hatte sich ans Rodeo geklammert, bis zu dem Tag, an dem er von jenem letzten Wildpferd abgeworfen worden war. Es war ein Sport für junge Männer, und mit dreißig war man entschieden zu alt, um noch mithalten zu können. Da war er also, ohne Frau und Kind und auch ohne Rodeo. Das Einzige, was ihm blieb, war die Erinnerung an den Brief seines Adoptivvaters, die ihn nicht mehr losließ.
Als sein Onkel Stuart starb und ihm seine Ranch vererbte, verkaufte Jared den Besitz und gab schließlich seiner Neugier nach. Er heuerte einen Privatdetektiv an, um seine leiblichen Eltern zu finden. Was vermutlich die zweitschlechteste Entscheidung seines Lebens war.
„Du hättest nicht herkommen sollen. Ich weiß noch nicht mal, wer dein Dad ist. Ich habe dich zur Adoption freigegeben, damit ich dich nicht sehen musste.“
Wie fast alles andere, was seine Vergangenheit betraf, verdrängte Jared auch die Erinnerung an jene Begegnung mit seiner leiblichen Mutter, so gut er konnte. Aber kürzlich hatte er so etwas wie Hoffnung verspürt. Nämlich bei dem Gedanken, dass seine Mutter ihm nicht mehr wichtig sein müsste, falls er tatsächlich mit Tony Amati verwandt war, dem Schutzpatron von St. Valentine.
Vielleicht könnte er sich in St. Valentine etwas aufbauen. Vielleicht war dies der Ort, an den er gehörte. Auf den Fotos von Tony erkannte Jared sozusagen eine bessere Ausgabe von sich selbst wieder. Darum war er in der Stadt geblieben.
Annette blickte sich um. Offenbar versicherte sie sich, dass der Koch nicht in der Nähe war, dann wies sie mit einem verschwörerischen Nicken auf das Tagebuch. „Lies es doch am besten gleich, ja?“
Diese Aufforderung reichte ihm, sodass er die erste beschriebene Seite überflog.
Manche Männer führen Buch über ihre Vermögenswerte, manche zeichnen Karten ihrer Grundstücke. Andere schreiben Bekenntnisse, um wegen des unvermeidlichen Endes ihr Gewissen zu erleichtern.
Obwohl ich auf diesen Seiten vermutlich die Last all meiner furchtbaren Sünden ablegen sollte, werde ich …
Jared hielt abrupt inne, als er über die unerwarteten Worte stolperte.
Meine furchtbaren Sünden.
Er schloss das Tagebuch genau in dem Augenblick, als Declan, der Koch, mit einem Teller an der Durchreiche erschien und klingelte, um zu signalisieren, dass Jareds Schinkenbrot mit Pommes frites zum Servieren bereitstand.
Annette bedankte sich und stellte den Teller auf den Tresen, während Jared rasch das Tagebuch auf seinen
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