Julia Sommerliebe 0020
Licht und die lebendigen Farben der Insel perfekt eingefangen. Verkaufen Sie oft Bilder an Touristen?“
„Nein.“
„Das sollten Sie aber! Ihre Werke wären bestimmt sehr begehrt.“
Seb sah Gina aufmerksam an und fragte sich, ob sie wirklich so unschuldig und unkompliziert war, wie sie wirkte. Hielt sie ihn tatsächlich für den Hausmeister der Villa, der mit dem Verkauf von Bildern sein Einkommen aufbesserte? Einerseits konnte er kaum glauben, dass ihre Arglosigkeit gespielt war. Andererseits war er schon zu oft hinters Licht geführt worden.
Seb beschloss, wieder Herr der Lage zu sein, und stellte nun seinerseits einige Fragen.
„Sie haben also in der Notaufnahme gearbeitet. Sind Sie jetzt auf Arbeitssuche?“, fragte er und beobachtete sie genau.
„Nein.“ Sie warf sich den Zopf über eine Schulter. „Ich trete eine neue Stelle an, sobald ich wieder zu Hause bin.“
Ihr strahlendes Lächeln löste etwas Merkwürdiges in ihm aus.
„Und wo sind Sie zu Hause, Gina?“
„In Strathlochan.“ Offenbar war ihm die Verwirrung deutlich anzumerken, denn Gina fügte lachend hinzu:
„Das liegt in Schottland.“
Diese Informationen brachten Seb durcheinander. Der Name Strathlochan kam ihm bekannt vor, dabei war er noch nie in Schottland gewesen. Aber mein Cousin Riccardo, dachte er und nahm sich vor, diese Verbindung zu überprüfen.
Eigentlich hätte ihm ihr Nachname gleich auffallen müssen, doch Ginas äußeres Erscheinungsbild ließ auf italienische Vorfahren schließen. Seb nahm sich vor, mehr über diese faszinierende Frau herauszufinden und zu ergründen, was sie wirklich am Privatstrand der Villa getan hatte.
„Sie wohnen gar nicht auf Elba?“
„Nein, ich wohne schon mein ganzes Leben lang in Schottland“, erwiderte Gina auf Italienisch. „Ich mache hier nur Urlaub.“
„Aber Sie sprechen perfekt Italienisch“, sagte Seb in fließendem Englisch, wenn auch mit Akzent.
„Und Sie sprechen perfekt Englisch“, entgegnete Gina erstaunt und beeindruckt. „Ich habe italienische Vorfahren, bin aber noch nie hier gewesen.“
Seb sah sie aufmerksam an. „Und wie gefällt Ihnen die Insel? Ist Elba nicht schön?“
„Oh ja, wunderschön!“ Gina nahm Sebs Nähe und die Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte, so intensiv wahr, dass ihr Herz heftig schlug. Die Anziehungskraft, die sie schon verspürt hatte, als er aus dem Meer an den Strand gekommen war, war inzwischen noch stärker geworden. Gern hätte Gina mehr über die Hintergründe seiner Verletzungen erfahren, denn er hatte ihr offensichtlich nicht alles erzählt. Bestimmt hatte er sich in Gefahr begeben, um einem anderen Menschen zu helfen, und das sagte eine Menge über ihn aus. Doch in seinen Augen spiegelten sich Schmerz, Wut und Verwirrung. Wahrscheinlich hatte er sich mit dem Verlust von sensorischen und motorischen Funktionen noch nicht abgefunden – und bestimmt nicht mit den Einschränkungen, unter denen er zweifellos litt.
Wegen seiner Malerei musste es ihn hart treffen, die Hand nicht wie gewohnt einsetzen zu können. Gina hätte ihn gern getröstet, doch Seb hatte eine Mauer aus Stolz um sich errichtet. Sie spürte, dass er nur sehr ungern über die Dinge sprach, die ihn aufwühlten. Außerdem ging sie das Ganze auch nichts an, vermutlich würde sie ihn nie wiedersehen. Bei diesem Gedanken wurde Gina plötzlich traurig.
„Wir wollten darüber reden, warum Sie hier sind“, sagte Seb jetzt.
„Ja“, erwiderte sie nervös.
„Warum waren Sie ausgerechnet an diesem Strand? Man kann ihn von der Straße aus doch gar nicht sehen.“ Seine Stimme klang sanft, aber auch unnachgiebig.
„Ich war auf der Suche nach einem Felsen, der ‚Neptuns Dreizack‘ heißt. Und ich habe zuerst geklingelt, aber niemand hat aufgemacht. Darum habe ich beschlossen zu warten, bis die Besitzer nach Hause kommen. Tja, und dann konnte ich der Versuchung, an den Strand zu gehen, nicht widerstehen – ich wollte unbedingt wissen, ob ich die gesuchte Stelle gefunden hatte“, erklärte Gina und lächelte nervös.
Eine Weile sah Seb sie schweigend an. „Woher wussten Sie überhaupt von dem Felsen? Und warum möchten Sie mit dem Besitzer der Villa sprechen?“
„Das ist eine lange und sehr persönliche Geschichte“, sagte Gina zögernd.
„Hat sie mit der Person zu tun, die auf Sie wartet?“, wollte Seb wissen.
„Ja, es geht um meine Großmutter.“
„Ihre Großmutter?“ Plötzlich wirkte er nicht mehr misstrauisch, sondern
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