Julia Sommerliebe 0020
„Fühlst du dich wirklich kräftig genug? Bist du sicher, dass du es schaffst?“
„Dass es mich aufwühlt, war doch von Anfang an klar.“
„Ja, aber …“ Gina biss sich auf die Lippe und blickte zu Paolo Benigni hinüber, einem Mann mittleren Alters, der früher als Fischer gearbeitet hatte und jetzt Touristen mit seinem Motorboot umherfuhr.
„Du kannst es dir jederzeit anders überlegen.“
Entschieden schüttelte Maria den Kopf. „Nein, Gina. Ich muss es tun, und ich will es auch. Es ist an der Zeit, endlich das zu tun, weshalb wir nach Elba gekommen sind. Der Kreis soll sich schließen.“ Sie strich ihrer Enkelin über die Wange. „Sei nicht traurig, ragazza mia. So ist das Leben nun einmal. Denk doch an all die schönen Jahre. Hätte ich nicht so ein schönes Leben gehabt – und du bist ein Teil da von –, dann wäre ich jetzt gar nicht hier.“
Gina blinzelte, weil ihr Tränen in die Augen gestiegen waren. Sie schluckte und versuchte, sich auf das vorzubereiten, was nun geschehen würde. Doch es fiel ihr schwer, sich von ihrem Großvater zu verabschieden, den sie so geliebt hatte.
„Später wird ein heftiges, stürmisches Gewitter aufziehen“, sagte Seb, der jetzt hinzukam. „Wenn wir fahren wollen, dann jetzt, sagt Paolo.“
„Dann los“, erwiderte Maria energisch.
Als Seb Gina ansah, zwang sie sich zu lächeln. Dann halfen er und Paolo ihnen ins Boot. Nonna Maria nahm Platz, die kostbare Urne fest in Händen haltend. Gina wandte den Blick ab, um ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen. Da spürte sie, wie ihr jemand die Hände auf die Schultern legte und ihr sanft den Nacken massierte. Als sie sich umwandte und an Seb schmiegte, strich er ihr tröstend über den Rücken.
„Wie geht es dir?“
„Gut“, schwindelte sie, beschämt über ihre Zweifel und ihr Widerstreben. Schließlich ging es doch um den sehnlichsten Wunsch ihrer Großmutter.
Seufzend barg Gina das Gesicht an Sebs muskulöser Brust und dachte an die vergangenen Tage mit ihm – die glücklichsten ihres Lebens. Auch die Nächte waren unglaublich schön gewesen. Sie hatten sich schnell eine angenehme Routine angewöhnt: Vormittags erkundeten sie zu dritt die Sehenswürdigkeiten der Insel. Dabei zeigte Seb sich immer äußerst charmant und geduldig. Nach dem Mittagessen leistete dann meist Evelina Maria Gesellschaft, während Seb und Gina Ausflüge machten, im Nationalpark Rad fuhren, wanderten oder am Strand der Villa schwimmen gingen.
Am Nachmittag des Vortags hatten sie einen alten Steinbruch besichtigt und waren in das dazugehörige Museum gegangen. Dort hatte Seb ihr einen wunderschönen Elbait gekauft, wie man sie gelegentlich auf der Insel fand. Die gedämpften Farben und die Formen der Turmalin-und Beryllstücke faszinierten Gina.
Abends, wenn Evelina gegangen war, aßen sie zu dritt und unterhielten sich, bis Nonna Maria zu Bett ging. Dann hatten Seb und Gina Zeit für sich und konnten die Leidenschaft auskosten, deren Feuer immer noch stärker zu werden schien.
Gina erbebte, als sie an die Nächte mit Seb dachte. Er war ein atemberaubender Liebhaber und schien immer genau zu wissen, wonach sie sich sehnte und wie er ihre Lust steigern konnte. Er war fordernd, aber zärtlich, einfallsreich und kühn; gleichzeitig schenkte er ihr unbeschreibliche Momente des Glücks. Die Stunden mit ihm waren das Schönste, was Gina je erlebt hatte. Noch nie hatte sie sich in Gegenwart eines Mannes so frei, ungehemmt und sinnlich gefühlt. Sie dachte oft, dass sie Seb inzwischen wie die Luft zum Atmen brauchte.
„Fertig?“ Seine Frage riss Gina aus ihren Gedanken. Seufzend löste sie sich von ihm.
„Ja, fahren wir los“, erwiderte sie und hoffte, überzeugter zu klingen, als sie es tatsächlich war.
Während sie an der Küste entlang zu dem abgelegenen Privatstrand fuhren, plauderte Seb mit ihrer Großmutter. Die ganze Zeit über hielt er Ginas Hand, und sie war dankbar für diesen Beistand.
Am Ziel angekommen, fragte Seb: „Was genau möchtest du tun, Maria? Möchtest du näher ans Ufer oder die Asche lieber hier verstreuen, in der Nähe vom Dreizack des Neptun?“
„Eigentlich hatte ich vor, an den Strand zu gehen. Aber sie hier dem Wasser zu übergeben ist auch eine wunderschöne Idee. Matteo hat das Meer doch so geliebt“, sagte Maria, offenbar sehr aufgewühlt von ihren Gefühlen.
Ginas Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt, als ihre Großmutter eine kurze, aber sehr emotionale Ansprache hielt
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