Julia Sommerliebe 0023
hier ist mein Privatbüro. Hier bewahre ich wichtige und geheime Dokumente auf. Ich wüsste nicht, was dich die angehen sollten.“
„Entschuldige bitte“, sagte sie noch einmal. „Ich wollte hier nicht herumschnüffeln. Ich weiß auch gar nicht, warum ich den Brief überhaupt gelesen habe …“
„Wie bitte? Hast du etwa alle Briefe gelesen?“
„Nein!“, erwiderte Zoe heftig. „Warum bist du eigentlich so … so …? Ich entschuldige mich ja schon.“ Sie hielt inne, weil sie den Satz einfach nicht zu Ende bringen konnte. So kalt, hätte sie sagen wollen. So hasserfüllt. So bitter.
„Warum hast du hier herumgeschnüffelt, Zoe?“, fragte Leandro – sehr leise zwar, aber in einem schneidenden Ton. „Wonach hast du gesucht? Nach meinem Scheckheft? Oder meinen Kontoauszügen? Wertsachen?“
„Was?“ Es dauerte eine ganze Weile, bis sie begriff, was er ihr da gerade unterstellte. „Du glaubst doch wohl nicht, dass ich hier …? Ich war nur wenige Sekunden hier, und mein Blick fiel zufällig auf dieses Blatt, das im Müll lag! Ich konnte doch nicht ahnen, dass es so wichtig ist. Denkst du etwa immer noch, dass ich dir etwas vormache? Dass ich so wie diese falschen Püppchen bin, auf die sich dein Vater eingelassen hat?“
Fluchend wandte Leandro sich ab. „Nein … natürlich nicht … Ach, ich weiß auch nicht mehr, was ich denken soll.“
Es klang verzweifelt. Zoe nahm den Brief und hielt ihn Leandro vor die Brust. Automatisch griff er danach und betrachtete die unregelmäßige Handschrift. Dann runzelte er die Stirn.
„Ich habe das hier gelesen“, erklärte sie ihm mit Nachdruck. „Einen Brief von deinem Vater. Und obwohl mein Italienisch ziemlich schlecht ist, verstehe ich immerhin, dass ihm alles sehr leidtut und er dich gern sehen würde.“
Leandro schloss die Finger um das zerknitterte Papier. Dann knüllte er den Brief betont gleichgültig zusammen und beförderte ihn wieder in den Papierkorb. „Und?“
Fassungslos schüttelte Zoe den Kopf. „Leandro, er ist doch dein Vater! Und du bist sein Fleisch und Blut! Löst dieser Brief in dir gar nichts aus?“ Als sie zu dem zerknüllten Zettel hinübersah, lösten sich all ihre Hoffnungen in nichts auf. Seine Familie schien Leandro rein gar nichts zu bedeuten! „Du änderst dich wirklich nie, stimmt’s?“
Leandro kniff die Augen zusammen. „Und warum sollte ich mich bitte ändern?“
„Ich dachte …“ Tränen schossen ihr in die Augen, und nur mit äußerster Willenskraft konnte sie sie zurückhalten. Wie hatte sie nur so dumm sein können, an ein Wunder zu glauben?
„Ich dachte, du würdest es dir irgendwann anders überlegen“, sagte sie schließlich und war sich dabei bewusst, wie naiv das klang. „Ich dachte, du würdest irgendwann merken, dass wir zwei … dass zwischen uns etwas entstanden ist …“ Sie brach ab, weil sie ihm einfach nicht sagen konnte, was sie sich insgeheim alles für ihre gemeinsame Zukunft erhoffte. Dafür schämte sie sich zu sehr. „Aber da habe ich mich wohl geirrt.“
„Ja, das hast du“, gab Leandro eiskalt zurück. „Und dabei habe ich dir doch gesagt, was ich dir bieten kann und was nicht. Ich habe dir nie etwas vorgemacht. Ich dachte, wir wären …“
„Ich weiß, du hast gedacht, dass wir uns in dieser Hinsicht ähneln.“ Sie lachte freudlos, erneut brannten ihr die Tränen in den Augen. „Aber diesen Sommer habe ich festgestellt, dass ich in Wirklichkeit ganz anders bin, als ich dachte. Mir ist durchaus bewusst, dass ich selbst dafür gesorgt habe, dass die Leute mich so sehen.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Aber in Wirklichkeit habe ich mir die ganze Zeit das gewünscht, was ich als Mädchen nie haben durfte. Früher bin ich mit meiner Mutter ständig von einem Ort zum anderen gezogen, wir haben uns nie länger als ein paar Monate irgendwo niedergelassen. Dann ist sie schon wieder unruhig geworden und hat ihre Sachen zusammengepackt.“
Zoe schluchzte. „Und ich musste mich jedes Mal an eine neue Schule gewöhnen und neue Freunde finden. Richtige Freundschaften sind dadurch aber nie entstanden, dafür waren wir nicht lang genug an einem Ort. Tja, und irgendwann habe ich mich wohl daran gewöhnt und beschlossen, dass es sicherer ist, so zu leben. Auf diese Weise wird man nie verletzt – weil man nämlich zu niemandem eine enge Beziehung aufbaut.“
An Leandros Unterkiefer zuckte ein Muskel. Einen Moment lang sah es so aus, als wollte er etwas dazu sagen, aber er
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