Julia Sommerliebe 0023
hatte, traf sie nun ganz plötzlich mit voller Wucht.
Das reicht mir nicht! dachte sie. Ihr Herz verlangte nach mehr, viel mehr. Und während sie in der dunklen Küche saß und der Regen gegen die Fensterscheiben prasselte, beschloss sie, sich nicht von der Hoffnungslosigkeit unterkriegen zu lassen. Nein, sie wollte dafür sorgen, dass sie auch mehr bekam. Oder es jedenfalls zu versuchen.
Insgeheim glaubte sie immer noch, dass Leandro sie doch liebte – obwohl er es sich selbst gegenüber nicht eingestehen wollte. Aus Angst.
Wie im Rausch stand sie auf, das Ziel, das sie vor Augen hatte, gab ihr Mut. Sie ging direkt zu Leandros Arbeitszimmer und zögerte nur eine Sekunde, bevor sie anklopfte.
Keine Antwort.
Zoe wartete noch einen Augenblick lang, dann drückte sie die Klinke hinunter und öffnete vorsichtig die Tür.
Das Zimmer war leer.
Bisher war sie erst wenige Male hier gewesen. Geputzt hatte er sein Arbeitszimmer selbst, damit seine Aufzeichnungen nicht durcheinander gerieten. Jetzt betrachtete Zoe das heillose Gewirr von Zetteln auf dem Mahagonischreibtisch und fragte sich, wie Leandro in diesem Chaos arbeiten konnte.
Langsam ging sie durch den Raum und betrachtete die edlen Ledersessel und die Bücherregale mit den verstaubten Wälzern.
Wahrscheinlich war das früher das Arbeitszimmer seines Vaters, dachte sie. Aber warum hat Leandro es übernommen? Um sich selbst damit zu bestrafen? Oder seinen Vater?
Auf dem Schreibtisch und dem Boden davor lagen so viele Zettel herum, dass sie sich kaum erklären konnte, warum ausgerechnet das zusammengeknüllte Stück Papier oben auf dem Papierkorb ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie wusste auch nicht, warum sie es aufhob, auseinanderfaltete und auf der Schreibtischplatte glatt strich. Vielleicht ja deswegen, weil der Bogen besonders fest zusammengeknüllt worden war, als hätte Leandro mit aller Kraft versucht, ihn zu zerquetschen.
So war Zoe als kleines Mädchen mit ihren ungelenken Zeichnungen umgegangen, damit sie auch ja niemand zu Gesicht bekam. Andererseits hatte sie sie aber auch nicht zerreißen wollen.
Auf dem Bogen aus dem Papierkorb waren allerdings keine Zeichnungen zu sehen, es war ein handschriftlicher Brief in italienischer Sprache. Zoe verstand zwar nur einige Sätze, aber die reichten ihr, um sich ein Bild zu machen.
Mio carissimo Leandro … Mi dispiace … Tu mi manchi … Ti voglio molto bene … Tuo padre.
Mein liebster Leandro, stand da. Es tut mir so schrecklich leid … Du fehlst mir… Ich habe dich sehr gern … Dein Vater.
Also versuchte Leandros Vater, nach so vielen Jahren, den Kontakt zu seinem Sohn aufzunehmen. Warum hatte Leandro den Brief weggeworfen?
Stirnrunzelnd betrachtete Zoe die Worte auf dem Bogen. Es klang doch wirklich so, als ob Georgio Filametti zutiefst bereuen würde, was er der Familie angetan hatte.
Leandro hatte seinen Vater als völlig rücksichtslosen, egoistischen Menschen dargestellt, der einfach seine Familie hatte sitzen lassen, ohne auch nur einen weiteren Gedanken an sie zu verschwenden. War da etwas dran?
Der Brief wiederum vermittelte das Bild eines Mannes, der sich danach sehnte, sich mit seinem Sohn zu versöhnen. Offenbar hatte sich Georgio Filametti viele Jahre später auf die wirklich wichtigen Werte bedacht. Er wollte zumindest den Kontakt zu seinem Sohn wiederherstellen. Und eine Entschuldigung aussprechen.
Darauf wollte Leandro aber offenbar nicht eingehen.
„Zoe? Was machst du denn da?“
Zoe zuckte zusammen und blickte auf. Leandros Stimme hatte schroff geklungen, so hatte er schon wochenlang nicht mehr mit ihr gesprochen. Monatelang. Obwohl sie sich schon so vertraut waren, kam er ihr jetzt wieder wie ein Fremder vor.
Aber was sollte er auch in diesem Moment denken? Immerhin hatte sie in seinem Arbeitszimmer herumgeschnüffelt und einen seiner privaten Briefe aus dem Papierkorb geholt. Ihre Wangen begannen zu glühen, und sie schob den Zettel weg. „Es tut mir leid.“
Leandro zog eine Augenbraue hoch und grinste … aber es war kein freundliches Grinsen. „Wirklich? Was denn, Zoe?“ Langsam kam er näher. Sie musste sich zwingen, stehen zu bleiben, statt aus Angst zurückzuweichen.
„Ich … ich habe dich gesucht“, stotterte sie. „Ich dachte, du wärst vielleicht hier.“
„Das war ich aber nicht“, ergänzte er leise. „Also hast du dich in der Zwischenzeit schon mal ein bisschen umgesehen.“
Inzwischen stand er direkt vor ihr, seine Augen blitzten. „Das
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