JULIA SOMMERLIEBE Band 21
sie sich in Ruhe anziehen könnte. Noch nie in ihrem Leben war sie sich in Gegenwart eines Mannes ihrer Weiblichkeit so bewusst gewesen. Sie befand sich vollkommen in seiner Hand, und niemand in diesem Haushalt würde sein Verhalten infrage stellen. Abrupt wandte Linda den Blick ab, aus Angst, er könne ihre Gedanken von ihrem Gesicht ablesen. Ihr Blick fiel auf seine linke Hand mit dem Wappenring – ein Falke in Ebenholz auf goldenem Untergrund.
„Sie sind ganz anders als die meisten europäischen Frauen, die sich unter der spanischen Sonne bräunen lassen wollen“, meinte er. „Diese Frauen haben nur wenig Anstand und lassen sich von den servidors im Hotel benutzen, als ob es ein Kinderspiel wäre. Nein, Sie haben nichts gemeinsam mit ihnen.“
Mit diesen Worten ließ er sie los und ging zur Tür. „Wir sehen uns dann später.“ Als sich die Tür hinter ihm schloss, lief Linda ein Schauer über den Rücken. Es hatte keinen Sinn, sich etwas anderes einzureden. Dieser Mann war eine Bedrohung für sie, von der sie sich dennoch auf seltsame Weise angezogen fühlte.
Sie dachte an den Ring an seiner Hand und spürte förmlich wieder El Khalids festen Griff. Seine Bewegungen waren von einer Geschmeidigkeit, die sie noch nie bei einem Menschen gesehen hatte. Als hätte er die vollkommene Kontrolle über seinen Körper.
Entschieden schüttelte sie die Gedanken an ihn ab. Und nachdem sie sich angezogen hatte, ging sie zurück in ihr Zimmer. In Rock und Bluse legte sie sich aufs Bett. Das seidenfeine Nachthemd lag immer noch am Fuß des Bettes, und Linda drängte sich ungewollt das Bild männlicher Hände auf, die über den pastellfarbenen Stoff strichen.
Unruhig warf sie sich von einer Seite auf die andere, um im Schlaf endlich Vergessen zu finden. Doch sie fürchtete sich auch davor. Was wäre, wenn sie einschliefe und er an ihrem Bett stehen und sie betrachten würde? Allein der Gedanke ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie drehte sich auf den Rücken, starrte zu dem weißen Baldachin und fühlte sich fast wie eine Motte, die sich in einem Netz verfangen hatte.
Endlich berührte der Schlaf sanft ihre Lider, und Linda schlief, bis der helle Baldachin sich in einen dunklen Schleier verwandelte und Mondlicht durch das vergitterte Fenster fiel.
Eine Berührung an ihrer Schulter holte Linda aus einem traumlosen Schlaf zurück. Benommen nahm sie wahr, dass der Baldachin zurückgeschlagen war und helles Sonnenlicht den Raum erfüllte. Zusammen mit dem Duft köstlichen Kaffees, der auf dem Schränkchen neben ihrem Bett stand. Als sie den Kopf hob, sah sie, dass jemand die Überwurfdecke über ihr ausgebreitet hatte.
„Fühlt die senorita inglesa sich jetzt besser?“
Linda richtete sich auf und stellte erleichtert fest, dass sie immer noch ihre Bluse und den Rock trug. „Ja, danke.“ Erstaunt sah sie sich um. „Habe ich die ganze Nacht geschlafen?“
Adoracion neigte den Kopf. „Soll ich der senorita eine Tasse Kaffee einschenken?“
„Ja, bitte.“ Lächelnd atmete Linda das köstliche Aroma ein, während sie sich daran erinnerte, wie sie am Tag zuvor im Kastell angekommen war. Jetzt, bei hellem Sonnenschein, fragte sie sich, wie sie auf die absurde Idee hatte kommen können, El Khalid habe andere Absichten, die über die reine Gastfreundschaft hinausgingen. Ihre Kopfschmerzen waren verflogen, sodass sie sich heute mit Dona Domaya treffen könnte.
„Haben die Männer meine Handtasche gefunden?“, fragte sie neugierig.
„Ihr Kaffee, senorita .“ Linda hatte plötzlich Angst, dass das ausweichende Verhalten der spanischen Frau auf schlechte Nachrichten hindeuten könnte.
„Ich denke, ich sollte es dem patron überlassen, mit Ihnen über diese Angelegenheit zu sprechen.“ Adoracion trat einen Schritt zurück. „Ihre Kleider sind zerknittert, weil Sie darin geschlafen haben. Ich werde mich darum kümmern, dass Sie andere bekommen.“
Die Kleidung war Linda im Moment egal. Vielmehr wollte sie wissen, ob ihre Papiere gefunden worden waren. „Bitte sagen Sie mir doch, wenn Sie etwas wissen. Er wird es Ihnen sicher nicht übel nehmen.“
„ El excelencia würde es mir sehr übel nehmen, wenn ich über seine Anordnungen hinweggehe.“ Fast lautlos entfernte Adoracion sich, und Linda sah frustriert, wie die Tür sich hinter ihr schloss. Seine Exzellenz war ein Tyrann. Sobald sie ihren Kaffee getrunken und sich im Bad frisch gemacht hatte, würde sie zu ihm gehen und ihn zur Rede stellen. Oh ja, er war
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