JULIA SOMMERLIEBE Band 21
dankbar.“ Er nahm sich einen Stuhl und fuhr nach kurzer Pause fort: „Ich hoffe, Ottavia ist nicht meinetwegen gegangen.“
„Sie ist eine sehr taktvolle Dame“, entgegnete sein Vater. „Sie wollte uns einfach nicht stören – das ist alles. Ich konnte sie inzwischen davon überzeugen, dass du unsere Beziehung nicht länger als Betrug an deiner verstorbenen Mutter ansiehst.“
Fast unmerklich wurde Lorenzos Lächeln schmaler. „ Grazie. Es ist gut, dass du ihr das gesagt hast.“ Er zöger te. „Also kann ich davon ausgehen, bald eine Stiefmutter zu haben? Wenn du … euer Verhältnis offiziell anerkennen lassen möchtest, werde ich dem nicht im Wege stehen.“
Guillermo hob abwehrend die Hand. „Das ist nicht das Thema. Wir haben häufig darüber gesprochen und sind uns einig, dass uns beiden unsere Unabhängigkeit sehr wichtig ist. Es wird sich nichts ändern.“ Er nahm die Brille ab und legte sie behutsam auf das Tischchen neben seinem Bett. „Da wir gerade davon sprechen: Wo ist eigentlich deine Frau?“
Anscheinend bin ich geradewegs in die Falle getappt, dachte Lorenzo und fluchte unterdrückt. „Sie ist in England, Papa – ich denke, das weißt du auch.“
„Ah ja.“ Nachdenklich nickte sein Vater. „Ist sie nicht kurz nach euren Flitterwochen dorthin gereist und seither nicht zurückgekehrt?“
Lorenzo hielt seinem Blick stand. „Ich dachte … eine Trennung auf Zeit wäre hilfreich.“
„Eine seltsame Entscheidung“, gab sein Vater zurück. „Besonders, wenn man die Gründe für diese Heirat bedenkt … Du stehst in der Erbfolge an letzter Stelle, mein lieber Lorenzo. Und weil du bis zu deinem dreißigsten Geburtstag keine Anstalten gemacht hast, dein Junggesellendasein aufgeben zu wollen, hielt ich es für angezeigt, dich an deine Verpflichtungen der Familie gegen über zu erinnern: Du musst für einen Erben sorgen, der den Namen der Santangelis weiterführt.“ Das Gespräch schien den Marchese anzustrengen. Dennoch fuhr er nach einer kurzen Pause fort. „Du hast deine Pflicht akzeptiert. Und da es zu dem Zeitpunkt in deinem Leben anschei nend keine feste Beziehung gegeben hat, hast du zugestimmt, das Mädchen zu heiraten, das deine verstorbene Mutter für dich vorgesehen hat – ihre geliebte Patentochter Marisa Brendon. Ich hoffe, dass mein hohes Alter mein Gedächtnis nicht trübt und ich mich noch richtig an die Einzelheiten dieser Vereinbarung erinnere. Also, hab ich recht?“, vergewisserte er sich sanft.
„Selbstverständlich.“ Lorenzo biss die Zähne zusammen. „Du hast wie immer recht.“
„Acht Monate sind seit der Hochzeit vergangen, und es gibt noch immer keine guten Neuigkeiten. Das ist in jedem Fall enttäuschend. Aber nach meiner Herzattacke wird die Frage, ob es einen Erben gibt, der den Namen Santangeli weiterführen wird, für mich noch wichtiger. Die Ärzte haben mir geraten, kürzerzutreten. Kurz gesagt: Mir ist bewusst geworden, dass auch ich nicht ewig lebe. Und ich würde gern mein erstes Enkelkind in den Armen halten, ehe ich sterbe.“
Lorenzo erschrak. „Papa, du wirst noch lange leben. Das wissen wir beide.“
„Das kann ich nur hoffen“, entgegnete Guillermo. „Aber darum geht es nicht.“ Er sank in die Kissen zurück. „Deine Frau kann dir keinen Sohn schenken, wenn du nicht unter einem Dach mit ihr lebst – geschweige denn, das Bett mit ihr teilst. Oder besuchst du sie regelmäßig in London, um deinen ehelichen Pflichten nachzukommen?“
Abrupt stand Lorenzo auf und trat ans Fenster. Er öffnete die Vorhänge und starrte in die Dunkelheit hinaus. Vor seinem inneren Auge tauchte das Bild einer schönen jungen Frau mit strahlenden Augen auf, und ein Gefühl der Scham versetzte ihm einen schmerzhaften Stich.
„Nein“, gab er schließlich zu, „das tue ich nicht.“
„Und warum nicht?“, hakte sein Vater nach. „Wo liegt das Problem? Zugegeben, die Heirat war arrangiert, aber das war meine Ehe auch. Und dennoch haben deine Mutter und ich uns sehr geliebt. Die Frau, mit der du verheiratet bist, ist jung, charmant und unbestreitbar unschuldig. Außerdem kennst du sie schon fast dein ganzes Leben lang. Wenn sie also nicht die Richtige für dich ist, hättest du das eher sagen müssen.“
Lorenzo wandte sich zu ihm um. Sein Blick war voller Bitterkeit. „Ist es dir noch nicht in den Sinn gekommen, Papa, dass sich die Sache genau umgekehrt verhält? Dass Marisa nichts von mir wissen will?“
„ Che sciocchezze! “, rief
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