JULIA SOMMERLIEBE Band 21
Zähne zusammen. „Ein Glas ist mehr als genug für jemanden, der behauptet, er trinke nicht sehr viel.“
„Aber es schmeckt mir. Ich möchte noch ein Glas“, beharrte sie uneinsichtig. „Vor wenigen Minuten wollten Sie mich noch zum Trinken nötigen und nun sitzen Sie da wie ein schockierter Pfarrer. Mehr Champagner, garçon !“, rief sie fröhlich und schwenkte das Glas über ihrem Kopf hin und her. Mit einem Mal fühlte sie sich so herrlich sorglos. Vielleicht sollte sie sich richtig betrinken, bevor sie sich ihrem Schicksal stellte.
„Vivian, stellen Sie das Glas ab, bevor Sie es kaputt machen!“, befahl er ihr scharf.
„Nur, wenn Sie versprechen, es aufzufüllen“, versuchte sie zu verhandeln und blinzelte vor Begeisterung über ihre eigene Raffinesse.
Einen Moment lang blickte er sie stumm an.
Sie merkte, dass ihr Körper sich schon leicht zur Seite neigte, doch sie konnte nichts dagegen tun.
„In Ordnung“, gab er nach.
Sie kicherte. „Versprochen?“
„Versprochen.“
„Hand aufs Herz?“
„Vivian …“, warnte er.
„Schwören Sie Stein und Bein …“ Vivian brach abrupt ab und bedeckte mit der Hand ihren offenen Mund. Sie wurde kreidebleich unter ihren Sommersprossen. „Oh, Gott, Nicholas! Es tut mir leid.“
„Das Glas, Vivian …“
Sie war so schockiert über ihre Gedankenlosigkeit, dass sie nur ihre eigenen Gewissensbisse registrieren konnte. Seine Warnung drang nicht bis zu ihr durch. „Oh, Nicholas, ich habe das nicht so gemeint! Ich war nur albern. Sie dürfen nicht denken, dass ich …“
„Ich weiß, dass Sie es nicht so gemeint haben, Vivian“, knurrte er ungeduldig und sah, dass ihre Augen hinter der Brille schon leicht verschleiert waren.
„Ich würde Sie nie wegen Ihres Beines aufziehen“, flüsterte sie kläglich.
„Ich weiß“, wiederholte er grimmig, sprang auf und versuchte, nach dem Glas zu greifen, bevor es ihr aus den Fingern glitt. Er war jedoch zu langsam. Der kostbare Champagnerkelch fiel an seiner ausgestreckten Hand vorbei und zersplitterte auf dem mit Steinplatten gefliesten Boden in Tausende glitzernde Scherben.
„Jetzt habe ich auch noch Ihr wunderbares Kristall zerschlagen“, jammerte sie und ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie an das schöne Stück dachte, das sie so leichtsinnig vernichtet hatte. „Sie müssen mir erlauben, es zu ersetzen.“
„Dann zahlen Sie meinetwegen dafür. Sie haben schon viel Schlimmeres kaputt gemacht. Vielleicht sollte man Sie auch dafür bezahlen lassen“, brummte er böse und fing sie in dem Moment auf, als sie vom Stuhl kippte und ihre Wange an der Tischkante stieß.
„Oh!“ Ihr Rücken bog sich über sein Knie, ihr Kopf baumelte schlaff über seinem starken Arm, die Hände hingen nutzlos zu Boden. „Sie sind ja so weich und so verschwommen“, murmelte sie benommen.
„Ihre Brille ist hinuntergefallen.“
Seine Stimme klang so weit entfernt, dass sie sich anstrengen musste, ihn zu verstehen. Ihre Gedanken schwirrten ohne Ziel in ihrem Kopf umher, sie waren so klebrig wie geschmolzener Honig und genauso schwer zu fassen.
„Wieso kann ich meine Arme nicht bewegen? Was geschieht mit mir?“
„Vielleicht sind Sie betrunken?“
Sie spürte, wie etwas Warmes unter ihre Knie glitt und sich die ganze Welt zu drehen begann. Vivian schrie leise auf, weil sie den Eindruck hatte, dass sie nach oben in Richtung der schweren Balkendecke schwebte.
„Das glaube ich nicht“, versuchte sie zu widersprechen. „Ich betrinke mich nie.“ Das Schaukeln verursachte ihr – ganz anders als das Boot, auf dem sie hierher gekommen war – keine Übelkeit. Benebelt erkannte sie, dass sie getragen wurde. Mühsam versuchte sie, gegen den Wunsch anzukämpfen, in den Armen dahinzuschmelzen, die sie gegen eine harte Brust drückten.
„Was geht hier vor? Wo bringen Sie mich hin?“, murmelte sie schwach.
„Wohin auch immer ich dich bringen will“, kam die kurze Antwort. „Weißt du denn nicht, was du getan hast, Vivian?“
Sie hatte es einmal gewusst, aber irgendwie war dieses Wissen nun schwer fassbar. „Nein, was habe ich denn getan?“, gab sie undeutlich zurück.
„Du hast dich an einem Dorn gestochen, an einem sehr gefährlichen Dorn …“
„Gift.“ Dieses Wort kämpfte sich von ihrem Unterbewusstsein an die Oberfläche. „War es giftig? Werde ich nun sterben …?“ Es ist viel schöner, als ich erwartet habe, entschied sie wirr. Alles um sie herum leuchtete in einem seltsamen
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