Julia Sommerliebe Band 22
Wangen weiß wie Papier geworden war, hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund.
Der Schmerz in ihrem erschrockenen Flüstern erreichte eine Stelle in Rafiks Herzen, die nie zuvor berührt worden war.
Sie sah Rafik an, und ihre Augen schwammen vor Tränen. „Ich hätte wirklich gedacht, dass er mehr …“ Als sie daran dachte, dass Hakim einfach abgefahren war, blieben ihr die Worte im Hals stecken.
„Mein Bruder ist ein Dummkopf. Es tut mir sehr leid, was er Ihnen angetan hat. Er verhält sich wie ein …“ Rafik benutzte ein Wort in seiner Muttersprache, das sie nicht verstand, aber sein Gesichtsausdruck sprach Bände.
„Was er mir angetan hat?“, wiederholte sie verwirrt.
Rafik schluckte. „Sie haben durch meine Familie Leid erfahren. Ich habe Sie benutzt“, gab er zu. Während er sprach, schien sich seine Wut zu steigern. „Aber wenigstens habe ich nicht mit Ihnen geschlafen, obwohl ich nicht vorhatte …“ Er schloss die Augen und fluchte in mehreren Sprachen.
Gabby sah ihn entsetzt an. „Mit mir geschlafen? Glauben Sie etwa, ich hätte mit einem Mann geschlafen, den ich erst seit fünf Stunden kenne?“, rief sie wütend aus. „Wofür halten Sie mich eigentlich?“
Genauso gut hätte er mich als Schlampe bezeichnen können, dachte sie und ignorierte ihre innere Stimme, die ihr zuflüsterte, dass sie bei Rafik schon innerhalb von fünf Sekunden schwach geworden wäre.
Sie sah, wie er die Kiefermuskeln anspannte, als er langsam den Kopf schüttelte. „Ich möchte nicht, dass Sie darüber reden.“
Er durfte nicht daran denken und sich von der Eifersucht zerfleischen lassen.
„Aber ich …“
Er unterbrach sie mit einem strengen Blick. „Ich habe ihn in Ihr Zimmer klettern sehen.“
„Sie haben ihn gesehen …?“ Sie sah ihn erstaunt an, dann kniff sie die Augen zusammen. „Haben Sie mich etwa beobachtet?“
„Ich hatte etwas mit Ihnen zu besprechen.“
Rafik hatte den ganzen Tag über gegen seine Schuldgefühle angekämpft, doch nach dem Abendessen hatte er einen Entschluss gefasst: Er bestand nicht mehr darauf, dass Gabby ihren Teil der Abmachung einlöste. Ironischerweise hatte sich bei genauerer Einsicht der Akte ihres Bruders gezeigt, dass es wahrscheinlich ohnehin nicht zum Prozess gekommen wäre.
Doch all das wurde auf der Stelle unwichtig, als er sah, wie Hakim ihren Balkon heraufkletterte. Zwar ohne Rose im Mund, dafür aber in jeder anderen Hinsicht der romantische Liebhaber.
„Ich hatte vor, durch die Tür zu Ihnen zu kommen.“
Gabby biss sich auf die Lippe. „Und was wollten Sie mit mir besprechen?“
„Das ist jetzt nicht mehr wichtig.“ Sie wunderte sich noch über seine Erwiderung, als er fortfuhr: „Wenn ich mir vorstelle, dass ich Sie in seine Arme getrieben habe!“
Seine Beschuldigung ließ Gabby unwillkürlich zurückweichen. „Ich bin keine Marionette. Sie haben mich zu nichts getrieben, was ich nicht selbst gewollt hätte, Rafik.“
Ihr ungeschickter Versuch, ihn zu beruhigen, hatte den gegenteiligen Effekt.
„Also haben Sie sich in ihn verliebt?“, fragte er. Es war nichts, womit er nicht gerechnet hatte. Er hatte schon einige Male erlebt, wie Frauen dem Charme seines Bruders erlegen waren.
Die abwegige Annahme ließ Gabby den eigentlich doch recht intelligenten Mann vor ihr fassungslos anstarren. „Natürlich nicht! Es war nur …“
„… Sex?“, fragte er, bevor er die Augen schloss und begann, ausgiebig auf Arabisch zu fluchen, wovon Gabby nur ein paar Worte verstand. Er schlug mit Wucht seinen Arm auf die geschnitzte Stuhllehne.
Als Gabby sah, wie er die Beherrschung verlor, schrie sie erschrocken auf. „Um Himmels willen, Rafik!“, rief sie und zerrte an seinem Arm.
Voller Entsetzen beobachtete sie, wie Blut unter seinen Fingerknöcheln hervorquoll, als er den Arm fester auf die Lehne presste. Es musste wehtun, doch er schien nichts zu bemerken – weder seinen Schmerz noch ihren Versuch, seinen Arm von der Lehne zu zerren. Die Muskeln unter ihren Fingern waren angespannt und gaben so wenig nach wie eine Eisenstange. Ihre Anstrengung war vergebens.
Rafik schien sie nicht einmal zu bemerken.
Plötzlich entspannte er sich und hob den Arm.
Gabby, die immer noch neben ihm kniete, seufzte erleichtert. Ihre Finger umgriffen noch seinen Unterarm.
„Ihre arme Hand!“ Als sie seine Hand anhob, um die Verletzung an seinen Knöcheln genauer anzusehen, zuckte sie erschrocken zurück. „Sie brauchen einen …“
Rafik atmete tief
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