Julia Sommerliebe Band 22
mit gemischten Gefühlen. Er war rechtzeitig gekommen, um alles mit anzusehen. Wegen des lauten Plätscherns eines Brunnens hatte er nicht verstanden, was gesagt wurde, aber er konnte es sich recht gut vorstellen. Nun, nachdem sein Bruder Gabby ins Schlafzimmer gezogen hatte, sah Rafik zwar nicht, was die beiden taten, aber auch das konnte er sich denken.
Das durfte nicht passieren. Rafik würde es nicht zulassen!
Die anfängliche rasende Wut hielt an, bis er den Hof überquert und den Balkon erreicht hatte. Jetzt stand er an exakt derselben Stelle, an der sein Bruder gestanden hatte. Er konnte noch dessen Fußabdrücke im frisch bewässerten Gras sehen. Nun kühlte seine Wut ab.
Was würde er tun? Hochklettern und Anspruch auf Gabby erheben? Sehr sinnvoll, hatte er ihr doch so viel mehr zu bieten als Hakim. Nimm mich, ich bin ein sterbender Mann!
Als sich eine halbe Stunde später die Sprinkleranlage wieder einschaltete, stand Rafik noch immer an derselben Stelle. Die Wasserstrahlen vertrieben ihn von dem im Dunkeln gelegenen Platz. Er legte den Kopf in den Nacken und sah gen Himmel. Das Wasser rann an seinem Gesicht hinunter, und er verspürte das dringende Bedürfnis, nach Leibeskräften zu brüllen.
Er sehnte sich nach der Frau, die er in die Arme seines Bruders getrieben hatte. Welch eine bittere Ironie.
„Es tut mir schrecklich leid“, sagte Gabby und fiel neben Prinz Hakim auf die Knie. Er saß zusammengesackt auf einem Sessel, den Kopf in den Händen vergraben. „Ich dachte, er hätte es dir erzählt.“
Hakim hob den Kopf. Sein Gesicht war kreidebleich, und er sah unendlich gequält aus. „Ich kann es nicht glauben. Sein ganzes Leben lang ist Rafik nicht einen Tag krank gewesen. Warum, um Himmels willen, hat er mir nichts gesagt?“ Er warf Gabby einen empörten Blick zu. „ Dir hat er es gesagt.“
„Wahrscheinlich, weil ich eine Fremde bin.“
„Ich bin sein Bruder.“
„Das ist doch genau der Punkt!“, rief Gabby kummervoll. Sie fühlte sich nicht durch Hakims Feindseligkeit verletzt, sondern war heilfroh, dass er gar nicht so weit gekommen war, sie zu fragen, warum sie sich auf Rafiks Plan eingelassen hatte.
Sie legte sich eine Hand auf die Brust und sagte mit fester Stimme: „Ich bin ihm egal!“ Warum auch sollte er sich für dich interessieren? „Er will dich nur so lange wie möglich schonen.“
Hakim wischte sich die Tränen aus den rotgeränderten Augen. „Er schont mich bereits seit vierundzwanzig Jahren“, brachte er mit erstickter Stimme hervor.
„Ich weiß“, antwortete Gabby und tätschelte seine Hand. „Es ist doch so, jetzt, wo wir …“ Sie hielt inne und schloss die Augen. Es gab kein „Wir“, sondern nur ein „Ihr“: Rafik und seine Familie. „Du, seine Familie und seine Freunde, ihr müsst jetzt für ihn da sein“, schloss sie leise.
„Aber beim Abendessen … du und er … ich dachte, er wolle dich heiraten. Und dass er mich für so erbärmlich hält, dass er denkt, ich könnte nicht regieren, ohne dass mir jemand den Rücken stärkt …“ Wieder war sein Blick voller Unwillen, als er Gabby ansah. „Rafik scheint eine sehr hohe Meinung von dir zu haben.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Er findet mich furchtbar.“ Sie lächelte schwach. „Aber dich liebt er“, versicherte sie Hakim. „Und er weiß, was für eine harte Arbeit dir bevorsteht. Er hatte sein ganzes Leben lang Zeit, sich auf die Thronfolge vorzubereiten, und nun geht mit einem Mal alles auf dich über. Er will dir einfach nur helfen. Und du weißt ja, wie schwer es ihm fällt, Verantwortung abzugeben.“
Hakim schniefte und lächelte. „Ja, ich weiß. Und ich nehme es ihm auch nicht übel, dass er denkt, dass ich dieser Aufgabe nicht gewachsen sein werde. Er hat ja recht. Ich kann es nicht.“
„Was kannst du nicht?“
„König sein.“ Hakim stand auf, fuhr sich durchs Haar und ging zur Tür. „Er hat recht, Gabby. Ich schaffe es nicht allein“, sagte er und ließ die völlig entmutigte Gabby allein zurück.
Erst um halb sieben Uhr morgens gelang es Gabby einzuschlafen, und dementsprechend spät stand sie am Vormittag auf. So war sie nicht verwundert, dass sie allein frühstückte.
Oder, besser gesagt, nicht frühstückte, denn sie bekam keinen Bissen herunter. Zu gern hätte sie gewusst, was los war. Wie hatte Hakim sich verhalten? War er sofort zu Rafik gelaufen und hatte ihn zur Rede gestellt? Oder hatte er sich etwa aus dem Staub gemacht? Nein, das konnte sie
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