Julia Sommerliebe Band 22
sich nicht vorstellen.
Es lag erst eine Woche zurück, dass sie den Artikel über diese Familie gelesen hatte, und jetzt war sie selbst so sehr in die Geschicke der Familie verwickelt, dass ihr Leben nie wieder sein würde wie früher.
Hätte sie doch nur nicht vergessen, Hakim zu sagen, er solle einfach warten, bis Rafik selbst bereit wäre, ihm die Wahrheit mitzuteilen! Wenn sie doch nur den Mund gehalten hätte! Doch dann sah sie an sich herab und dachte: Warum gebe ich mir jetzt die Schuld? Schließlich habe ich nicht darum gebeten, in diese Sache hineingezogen zu werden. Ich wollte nicht erpresst werden. Ich wollte mich auch nicht verlieben. Verdammt! Was soll ich nur tun?
In ihren Schläfen hämmerte es unerträglich. Gabby schlug sich mit der flachen Hand vor den schmerzenden Kopf. Sie fühlte sich wie in einem Hamsterrad. Sie kam nicht von der Stelle, und ihre Gedanken drehten sich im Kreis.
Fest stand nur, dass ihr Leben ein einziges Chaos war. Sie befand sich mitten in einem emotionalen Minenfeld. Ganz gleich, wie sie sich auch entschied, egal, in welche Richtung sie lief – sie würde so oder so nicht unbeschadet davonkommen.
Sie wollte keine Königin werden. Es gab einen Mann, mit dem sie gern zusammen gewesen wäre – einen mutigen, aber unwissenden Mann, der sie mit seinem eigenen Bruder verkuppeln wollte.
Hastig nahm sie einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und schrie leise auf, als sie sich den Mund verbrühte. Schwungvoll stellte sie die Tasse zurück auf den Tisch, wobei die Hälfte des Inhalts auf das weiße Tischtuch schwappte. Dann schenkte sie sich ein Glas kaltes Wasser ein.
Als sie es mit großen Schlucken trank, bemerkte sie, dass Sayed in der Tür stand.
„Miss Barton …? Es tut mir leid, wenn ich Sie störe.“
Gabbys höflich-fragender Gesichtsausdruck wich einer besorgten Miene, als der sonst so unerschütterliche Sayed weitersprach.
„Ich mache mir große Sorgen um den Kronprinzen, Miss.“
Abrupt stellte sie das Glas ab, und wieder schwappte Flüssigkeit auf die bereits nasse Tischdecke.
Trotz des eiskalten Schreckens, den sie bekommen hatte, brachte sie es fertig, höflich zu lächeln und ruhig zu fragen: „Ist etwas passiert?“
Wenn etwas passiert wäre, war sie neben Hakim die Einzige, die wusste, welche schwerwiegenden Folgen das haben konnte. Sie biss die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten, um ihre Panik unter Kontrolle zu halten.
„Ja, es muss irgendetwas passiert sein, Miss … der Kronprinz ist sehr aufgebracht.“
Erleichtert atmete sie auf. Zumindest war er nicht krank. „Ist das alles? Er ist doch ständig wütend.“
Noch bevor sie zu Ende gesprochen hatte, ging Gabby auf, dass es nicht stimmte – zumindest galt das nicht für seinen Umgang mit allen anderen. Verglichen mit seinem unleidlichen, kritischen Verhalten ihr gegenüber legte er bei anderen Menschen eine fast schon übernatürliche Toleranz an den Tag.
Zwar konnte er Dummheit schlecht ertragen, aber andererseits sprach er oft ein Lob aus, wenn es angemessen war. Alle Menschen in seiner Umgebung gaben sich gern mehr Mühe, um mit seinem Lächeln belohnt zu werden.
Gabby verdrängte das Bild des lächelnden Rafik und wandte sich Sayed zu, der den Kopf schüttelte.
„Nein, es ist ernst. Ich kenne den Kronprinzen von Kindesbeinen an, aber so habe ich ihn noch nie gesehen. Ich mache mir Sorgen.“
Auch Gabby war besorgt, bemühte sich aber, es zu verbergen. „Warum erzählen Sie mir das, Sayed?“
„Ich dachte, Sie könnten vielleicht …“ Er hielt inne und rieb mit unbehaglicher Miene seine knorrigen Hände gegeneinander.
Gabby hatte plötzlich Mitleid mit ihm. „Sie haben gedacht, ich wäre vielleicht dumm genug, mich in die Höhle des Löwen zu wagen und mir den Kopf abreißen zu lassen, oder?“ Zwar sagte sie das im scherzenden Tonfall, doch sie war zunehmend beunruhigt durch die Angst in den Augen des alten Mannes.
Sayed sah erleichtert aus. „Genau, Miss. Auf Sie hört er vielleicht.“
Gabby starrte den Mann an und fragte sich, ob er vielleicht einen Sonnenstich hatte. Rafik hörte auf niemanden. Aber sie? Sie war doch wohl der letzte Mensch, der einen Einfluss auf Rafik hatte. Offenbar zog das Personal aus ihrer Anwesenheit im Palast die falschen Schlüsse.
„Und er ist nicht krank?“
„Krank, Miss?“ Er schüttelte verwundert den Kopf und erklärte mit einem Anflug von Stolz: „Nein, der Kronprinz erfreut sich bester Gesundheit. Das war schon immer
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