Julia Sommerliebe Band 22

Mutter diskutiert?“
    „Nicht ausführlich.“ Caroline riss so stark an der Pinne, dass das Segel auf die gegenüberliegende Seite schnellte.
    „Dachtest du vielleicht, sie könnte gekränkt sein, weil du sie für so leicht beeinflussbar hältst?“
    „Aber du hast ganz offensichtlich die Absicht, sie zum glatten Selbstmord zu animieren.“
    „Caroline.“ Er sprach ganz ruhig, doch sie spürte, dass er um Selbstbeherrschung rang. „Deine Mutter ist eine erwachsene Frau. Sie wird nicht blindlings zu gefährlichen Abenteuern verführt, sondern probiert einfach nur ein paar Sportarten aus, die sie schon immer mal machen wollte. Das ist ihre eigene Entscheidung. Dass dein Vater so kurz nach der Pensionierung gestorben ist, hat sie als Warnung gedeutet. Sie möchte ihr Leben auskosten. Aber mich interessiert, warum du unbedingt einen Sündenbock für deine eigenen inneren Ängste finden möchtest.“
    „Das stimmt doch gar nicht!“ Sie wandte sich von ihm ab und war froh, dass der Hut ihr Gesicht überschattete.
    Oder hat er doch recht?, fragte sie sich plötzlich. Sie wollte sich nicht wieder in diesen emotionalen Strudel begeben. Aber war ihr Verhalten vielleicht doch eine Nachwirkung ihrer Einsamkeit von damals, als sie sich von ihren Eltern verlassen gefühlt hatte? Mangelte es ihr aus diesem Grund an Vertrauen? War sie deshalb so ängstlich?
    Sollte sie nicht einfach akzeptieren, dass ihre Gefühle für ihre Mutter irrational waren, an ihrem bisherigen Plan festhalten und den Job auf einer formellen Basis ausführen und dann so schnell wie möglich wieder nach Hause zu fahren?
    „Wo fahren wir genau hin?“, fragte sie schließlich, um das Thema zu wechseln. Unter keinen Umständen wollte sie, dass Romano weiter in ihrer Psyche herumstocherte.
    „Zu einem kleinen Fischerort, Ghar Lapsi . Dort können wir picknicken und schwimmen. Ich zeige dir die Blue Grotto . Heute dürften nicht zu viele Touristen dort sein.“
    „Und wie lange werden wir fort sein?“
    Romano zuckte die Achseln. „Fast den ganzen Tag, schätze ich. Oder hast du noch etwas anderes geplant, Caroline?“
    Ihr Magen krampfte sich zusammen. Wie konnte Romano so über ihre Zeit verfügen? Andererseits würde sie sonst ja auch den ganzen Tag im Büro sitzen. Warum war die Vorstellung, länger in dieser traumhaften Umgebung zu verweilen, so unangenehm?
    „Ich dachte, wir bleiben nur ein paar Stunden“, entgegnete sie hitzig. „Was, wenn ich kein Interesse an einem Picknick in Ghar Lapsi oder an einer Besichtigung der Grotte habe?“
    „Dann befindest du dich bedauerlicherweise in Gesellschaft eines Menschen, der ein Interesse daran hat“, antwortete er unbeugsam. „Wenn du dich nicht um ein bisschen mehr Höflichkeit bemühst, könnte ich bereuen, dich aus den Fluten gefischt zu haben. Meine giftzüngige Meerjungfrau macht ihrem Namen alle Ehre.“
    „Wenn ich eine giftzüngige Meerjungfrau bin, dann bist du der personifizierte Neandertaler! “, belehrte sie ihn wütend. „Und dann deine maßlose Arroganz! Du bedrängst mich im Auto, belästigst mich in deinem Büro und kidnappst mich heute geradezu …“
    Romano lachte auf, und Caroline starrte ihn empört an.
    „Wenn ich ein Neandertaler bin, dann bin ich bestimmt von den Höhlen dieser Insel inspiriert worden.“ Er grinste. „Hier gibt es eine ganze Menge davon.“
    „Wie interessant.“
    Ihren beißenden Sarkasmus überhörte er geflissentlich. „Wir haben Höhlen, in denen ein Apostel Christi Schiffbruch erlitt, Höhlen, in denen unzählige Inseljungfrauen verschwanden, Höhlen, in denen die Nymphe Calypso Homers Helden Odysseus auf seiner Rückkehr nach Ithaka aus dem Trojanischen Krieg verführte. Und dann gibt es noch eine Höhle, die wir auf unserer Tour heute besichtigen werden, oben in den Klippen am südlichsten Zipfel der Insel Ghar Hasan. Diese Höhle ist mythenumrankt.“
    Er lächelte ihr über die Schulter hinweg zu. „Mathilde Bencini, die langjährige Haushälterin meiner Eltern, hat mir die fantastischsten Geschichten darüber erzählt. Als kleiner Junge habe ich danach so lebhaft geträumt, dass ich glaubte, alles sei wahr. Immer wenn wir zu dieser Höhle gegangen sind, haben Salvo und ich geglaubt, Hasans Geist würde aus der Dunkelheit gesprungen kommen und uns mit seinem Dolch die Kehlen aufschlitzen. Obwohl wir wussten, dass er es auf kleine Mädchen abgesehen hatte, nicht auf Jungs …“
    „Was hat sie denn für Geschichten erzählt?“, fragte