Julia Sommerliebe Band 24
in ein Krankenhaus gekommen wärt, hätten deine Frau und dein Kind die Embolie eventuell nicht überlebt.“
„Eventuell aber doch, wenn ich mich Clara gegenüber durchgesetzt hätte.“
„Und wenn schon. Was geschehen ist, kannst du nicht ändern. Meinst du nicht, dass du lange genug davongelaufen bist? Selbst jetzt, nachdem du dich entschieden hast, der Medizin noch eine Chance zu geben, versteckst du dich hinter Regeln und Leitlinien, statt auf deinen ärztlichen Instinkt zu hören.“ Sie sah auf die Uhr. „Ich kann dir deine Unsicherheit nicht nehmen, aber im Umgang mit schwangeren Frauen sind solche negativen Gefühle fehl am Platz. Wie auch immer, wir sollten jetzt aufbrechen.“
Bis zum Sonnenuntergang eine halbe Stunde später hatten sie etwa dreißig Meilen zurückgelegt. Bonnie fuhr vorsichtig, da in der Dämmerung besonders viele Tiere unterwegs waren. Ein Zusammenprall mit einem Känguru hätte ihr jetzt gerade noch gefehlt.
Harry war zusammen mit den Frauen hinten eingestiegen. Das war auch besser so. Bonnie hätte ihm noch das ein oder andere zu sagen gehabt, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Stattdessen saß der verschreckte Bernie neben ihr, den Tante Dell kurzerhand aus dem Fond befördert hatte.
Bonnie musste kurz hintereinander zwei Kängurus und einem Wombat ausweichen. Von hinten war Tameekas angestrengter Atem zu hören. Tja, Harry, das ist keine Spazierfahrt, dachte Bonnie grimmig. Wir könnten jetzt genauso gut in einem ruhigen, komfortablen Patientenzimmer in Uluru sitzen und dort die Geburt abwarten.
Nach einer weiteren halben Stunde war es draußen stockfinster. Nur die Scheinwerfer des Autos durchschnitten die Schwärze. Es würde noch eine gute Stunde dauern, bis sie auf den anderen Rettungswagen trafen. Als wäre das noch nicht genug, schien ein riesiger Lastwagen an ihren Rückscheinwerfern zu kleben. Bei der nächsten Ausweichbucht fuhr Bonnie rechts ran, um den Truck vorbeizulassen.
„Was ist los, Bonnie?“, drang Harrys Stimme aus dem Fond.
„Ich lasse bloß einen Lastwagen überholen.“
„Ich muss mal“, meldete sich Tameeka zu Wort.
Auch das noch. „Okay. Dort vorne kann ich anhalten.“ Bonnie hielt ein paar Hundert Meter weiter auf einem kleinen Parkplatz und schaltete den Motor aus. Ringsum war es totenstill. Der Himmel war klar, und die Sterne tauchten die Wüste in ein schwaches Licht. Bonnie und Bernie gingen um das Fahrzeug herum und öffneten die schwere hintere Tür.
Als Erstes schob sich Tante Dell aus dem Wagen und begann, ihre Glieder zu strecken. Dann half Harry Tameeka heraus, die sich erschöpft an Bernie lehnte. „Mein Rücken bringt mich um, wenn ich die ganze Zeit liegen muss.“
„Ich weiß, Liebes.“ Bonnie sah sich nach einer geschützten Stelle um. „Komm, hier drüben ist ein Gebüsch. Ich leuchte dir mit der Taschenlampe.“
Tameeka folgte ihr und flüsterte Bonnie verschämt ins Ohr: „Ich muss gar nicht. Aber ich hab’s auf der Liege einfach nicht mehr ausgehalten.“
„Das ist schon in Ordnung. Aber geh trotzdem, solange du die Gelegenheit hast.“
Bonnie hatte ihre eigene Theorie zu Tameekas Rückenschmerzen. Das Baby musste mittlerweile kräftig nach unten drücken. Möglicherweise stand die Geburt kurz bevor.
In einiger Entfernung sah sie Harry unruhig auf und ab gehen, wie ein werdender Vater vor dem Kreißsaal.
Dann stöhnte Tameeka auf. Bonnie drehte sich zu ihr um und fand sie auf allen vieren.
Als der Schmerz nachließ, half sie ihr, sich aufzurichten. „Musstest du schon ein wenig pressen?“
„Ja. Und dann ist das viele Wasser gekommen. Ich glaube, es läuft immer noch aus mir raus. Bitte, ich will nicht zurück ins Auto.“
Also war es so weit. „Kein Problem, Liebes. Lass uns bloß zurück zum Wagen gehen, damit wir mehr Licht haben.“
Harry kam ihnen entgegen. „Die Fruchtblase ist geplatzt“, informierte Bonnie ihn ruhig. „Tameeka wird ihr Baby jetzt zur Welt bringen. Sie möchte gerne hier draußen bleiben, wenn du einverstanden bist.“
Harry atmete geräuschvoll aus und ließ die Schultern hängen. Dann hob er den Kopf und verzog den Mund zu einem humorlosen Lächeln. „Jetzt bekomme ich wohl die Quittung für meine Sturheit. Du hattest von Anfang an recht. Wir hätten mit ihr in Uluru bleiben sollen. Das wäre in ihrem Zustand das Sicherste gewesen.“
Er legte den Kopf in den Nacken und sah in den Sternenhimmel. „Aber es geht jetzt nicht um mich, sondern um Tameeka.
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