Julia Sommerliebe Band 24
um. Die ältere Frau hatte deutlich mehr Erfahrung mit Geburten als ihre Nichte. „Die Fruchtblase ist noch intakt. Ich denke, es wird noch ein paar Stunden dauern. Vielleicht lange genug, um nach Alice Springs zu kommen.“
Bonnie kontrollierte ein weiteres Mal die Herztöne des Kindes und wusch sich dann die Hände, während Tante Dell Tameeka half, aufzustehen und sich wieder anzuziehen.
„Gibt es im Moment noch Fragen?“ Bonnie sah die beiden Frauen an.
„Kann ich das Baby nicht hier bekommen?“, fragte Tameeka ängstlich.
Bonnie hätte ihr den Gefallen nur zu gerne getan, aber ohne die entsprechende medizinische Ausstattung war es zu riskant. „Leider nein. Aber wir werden versuchen, einen Weg zu finden, damit deine Tante und Bernie bei dir bleiben können.“
Wie sich herausstellte, war das RFDS-Team zu einem Einsatz in Kakadu unterwegs. Harry entschied sich für den Transport mit dem Rettungswagen. Allerdings war er ganz und gar nicht begeistert davon, dass Tameekas Tante mitkommen wollte.
„Es geht einfach nicht. Wir haben nicht genug Platz im Auto.“ Er und Bonnie warteten vor dem Behandlungszimmer auf Steve, der den Rettungswagen startklar machte.
Bonnie ärgerte sich über seine Sturheit. Sie bezweifelte, dass Tante Dell sich mit dieser Entscheidung zufriedengeben würde.
„Dann erklär mir, wozu du so viel Platz brauchst, Harry. Tameeka ist eine gesunde junge Frau. Die Eröffnungswehen sind noch nicht sehr weit fortgeschritten. Wenn du der Meinung bist, dass sie ihr Kind nicht hier bei uns zur Welt bringen kann, müssen wir damit rechnen, dass es unterwegs geboren wird. In diesem Fall müssen wir ohnehin anhalten und können ihre Tante aussteigen lassen. Wo ist also das Problem?“
Harrys Blick sprühte förmlich Funken. „Diese Geburt wird nicht auf der Straße stattfinden. Tameeka sollte seit zwei Tagen in Alice Springs sein.“
„Vor zwei Tagen hatte sie noch keine Wehen, und es war auch nicht damit zu rechnen“, sagte Bonnie sehr ruhig, obwohl sie innerlich kochte. „Wir können die Situation jetzt nicht ändern. Soll ich also in Alice Springs Bescheid geben, damit sie ihren Wagen losschicken?“
Aber Harry war noch nicht fertig. „Das ist genau das, was ich meine. Du stellst mich schon wieder vor vollendete Tatsachen.“
„Nun mal langsam.“ Jetzt platzte auch Bonnie der Kragen. „Was soll das heißen, Harry? Habe ich dich jemals zu irgendetwas gezwungen? Etwa zu unserer kleinen Affäre auf Bali? Wenn ich mich richtig erinnere, warst du es, der mich damals nicht in Ruhe gelassen hat. Ebenso wenig habe ich dich dazu gezwungen hierherzukommen. Aber jetzt bist du hier und wir haben eine Frau, die in den Wehen liegt. Ob du willst oder nicht, du musst dich mit der Situation auseinandersetzen.“
„Wir haben keine Zeit für diese Diskussion“, sagte er harsch.
„Nein, das haben wir nicht, aber nun hast du sie begonnen und musst dir wohl oder übel anhören, was ich zu sagen habe.“ Ungeduldig strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn. „So kann es nicht weitergehen, Harry. Du musst deine Angst überwinden, gerade wenn es um Schwangere und Geburten geht.“
Störrisch hob er das Kinn. „Gerade weil ich nicht weiß, ob ich das kann, hätten wir sie vor zwei Tagen in die Stadt bringen sollen.“
„Ich habe den Eindruck, du willst überhaupt nichts ändern. Warum fällt es dir so schwer, deine Angst und deine Schuldgefühle hinter dir zu lassen?“
„Es geht nicht um Angst, sondern um Vorsicht.“
Sie würde sich nicht auf seine Haarspaltereien einlassen. „Vorsicht ist schön und gut, aber wir können die Natur nicht kontrollieren. Wir sind dazu da, unsere Patientinnen zu unterstützen. Im Grunde ist eine Geburt die natürlichste Sache der Welt.“
„Das sehe ich anders. Du wirst kaum bestreiten, dass die Mütter- und Säuglingssterblichkeit deutlich zurückgegangen ist, seit wir ab und zu in den Lauf der Natur eingreifen.“
„Darum geht es doch jetzt nicht.“ Bonnie war mit ihrer Geduld am Ende. „Aber das Letzte, was Tameeka gebrauchen kann, ist diese angespannte Stimmung, als würde gleich ein Unglück geschehen.“
„Dummerweise habe ich ein solches Unglück bereits erlebt. Darüber kann ich nicht einfach hinweggehen.“
„Glaubst du, ich verstehe das nicht? Du hast damals alles getan, was in deiner Macht stand. Aber manchmal sind wir machtlos gegen die Launen der Natur. Du hattest nicht die nötige Ausrüstung, und selbst wenn ihr rechtzeitig
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