Julia Sommerliebe Band 24
ohne jegliche Voranzeichen auf, und die Patientinnen haben kaum eine Chance.“
„Die meisten von ihnen sterben.“ Harrys Gesicht verzog sich schmerzvoll. „Clara war immer gesund. Erst bei der Autopsie stellte sich heraus, dass ihre Gebärmutter vermutlich aufgrund der vorzeitigen Wehen einen winzigen Riss bekommen hatte, durch den Fruchtwasser in ihren Blutkreislauf eindringen konnte und einen allergischen Schock verursachte. Wir haben einen Notkaiserschnitt durchgeführt, aber es war zu spät für sie und das Baby. An diesem Tag habe ich das Vertrauen in mich und meinen Beruf verloren.“
„Trotzdem bist du zurückgekommen.“
„Und wer ist dafür verantwortlich?“
Oh nein, auf diese Argumentation würde sie sich nicht einlassen! „Das war deine eigene freie Entscheidung. Aber ich bin froh darüber, und Clint und Donna dürfte es ebenso gehen.“
Er war mit seinen Gedanken noch immer meilenweit weg. „Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich noch einmal mit einer solchen Situation konfrontiert wäre.“
„Du solltest dich nicht unterschätzen, Harry. Heute würdest du die ersten Anzeichen für eine solche Embolie vielleicht viel früher erkennen und damit einer Mutter und ihrem Kind das Leben retten. Dann wären Clara und euer Baby nicht ganz umsonst gestorben.“
Aus gequälten Augen sah er sie an. Es tat ihr in der Seele weh, ihn so leiden zu sehen. Sie machte sich etwas vor, wenn sie glaubte, ihn einfach nur als guten Kollegen sehen zu können.
„Ich werde dieses Bild niemals vergessen, Bonnie. Claras weißes Gesicht. Der winzige, kalte Körper unseres Kindes.“ Seine Stimme brach, und Bonnie konnte nicht anders als zu ihm zu gehen und ihn zu umarmen. Vorsichtig legte sie ihre Wange gegen seine.
„Was für ein grausames Schicksal. Es muss sehr hart für dich gewesen sein. Aber ich habe noch ein anderes Bild vor Augen. Vielleicht kannst du es auch sehen, Harry. Da ist Clara, mit eurem Baby im Arm. Sie wirft dir eine Kusshand zu, während die Seelen der beiden in den Himmel aufsteigen. Sie haben keine Schmerzen mehr, keine Ängste und Sorgen. Und sie schicken dir ihre ganze Liebe.“ Sanft drehte sie sein Gesicht zu sich und küsste ihn auf den Mund. „Du konntest sie nicht retten.“ Es waren Worte, die er schon oft gehört haben musste, aber vielleicht konnte er eines Tages daran glauben.
Bonnie jedenfalls glaubte fest daran. Ihre Großmutter hatte damals nach dem Tod ihrer Eltern ähnliche Worte gefunden und ihr damit eine schwere Last von der Seele genommen. Wenn sie Harry nur ebenfalls Erleichterung verschaffen könnte. Es brach ihr das Herz, ihn so zu sehen.
Dann bemerkte sie sein unbewegliches Gesicht und fragte sich, ob sie zu weit gegangen war. Die Mauer zwischen ihnen schien unüberwindbarer denn je.
Wortlos stand Harry auf und verließ das Zimmer. Bonnie blieb alleine mit ihren Gedanken zurück und wünschte, sie hätte sich niemals auf diese Unterhaltung eingelassen.
Am nächsten Morgen erwachte sie sehr früh. Von ihrem Bett aus sah sie die Sterne, die langsam vor der aufgehenden Sonne verblassten. Ihr Kopf drehte sich, und sie konnte an nichts anderes denken als an Harrys tragische Geschichte.
Es sollte eine Vorahnung dessen sein, was der Tag bringen würde.
9. KAPITEL
Tameekas Tante war eine große und füllige Frau. In ihrem leuchtend roten Pullover und orangefarbenen Shorts bot sie einen durch und durch imposanten Anblick. Verschüchtert folgten ihr Bernie und Tameeka in den Empfangsbereich der Klinik, wie zwei Küken der Entenmutter.
Es war spät am Nachmittag. Bonnie warf einen prüfenden Blick auf das angespannte Gesicht der jungen Schwangeren und sah sich suchend nach Harry um. Das hier würde ihm gar nicht gefallen.
Im Kopf ging sie die verschiedenen Optionen durch. Wenn sie Glück hatten, war das RFDS-Flugzeug verfügbar. Ansonsten blieb ihnen nur der Rettungswagen. Sie könnten in Alice Springs anrufen und darum bitten, dass ihnen ein Team auf halber Strecke entgegenkam. Das bedeutete immer noch zweieinhalb Stunden Fahrt.
Die Frage war, ob sie es rechtzeitig in ein Krankenhaus schaffen würden. Warum bloß war man hier in Uluru nicht auf Geburten eingerichtet! Das würde alles sehr viel einfacher machen.
Bonnie riss sich aus ihren Gedanken. „Guten Tag. Sie müssen Tameekas Tante Dell sein. Sie hat uns schon angekündigt, dass Sie sie begleiten werden. Ich bin Bonnie.“ Dann wandte sie sich an das Pärchen. „Dann kommt mal mit ins
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