Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
das russische Gas nach Europa floss. Schon Kutschma hatte sie zur Erpressung des russischen Partners benutzt. Aber Juschtschenko wusste auch, dass die Verhandlungen Putins mit Schröder über eine alternative Gasleitung durch die Ostsee kurz vor dem Abschluss standen. Zwar hatten seine romantischen Hoffnungen auf handfeste Hilfe der EU für die junge ukrainische Demokratie bereits einen beträchtlichen Dämpfer erhalten, aber er konnte nicht wissen, welch treuen Verbündeten Putin bereits geworben hatte. Niemand kam damals auf die Idee, Altkanzler Schröder könnte den Vorsitz des Aufsichtsrates der Gesellschaft übernehmen, die die nordeuropäische Gasleitung bauen sollte. Allerdings sah Juschtschenko ohne jede Illusion, dass die Gasfalle zuschnappte, sobald die Verträge zwischen Russland und Deutschland unterzeichnet waren.
Sollte es zum Gaskrieg mit Moskau kommen, hatte Kiew allerdings noch weitere Trümpfe in der Hand. Da waren die Pachtzahlungen für die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol. Sie musste nicht ewig dort bleiben. Und man konnte den Kreml daran erinnern, dass auf ukrainischem Gebiet zwei noch zur Sowjetzeit gebaute Funkmessstationen standen, die für die russische Luftverteidigung strategische Bedeutung hatten.
Aber Juschtschenko fürchtete diesen Krieg. Ukrainische Städte würden im Frost erstarren, Betriebe stillstehen und Arbeiter sich vor geschlossenen Werktoren zusammenrotten. Ratgeber und Experten warnten, die Schocktherapie für die Wirtschaft werde eine innenpolitische Krise auslösen.
Zum Fall »RosUkrEnergo« äußerte sich Juschtschenko nicht. Die Skandalaffäre wurde zu den Akten gelegt und kam nicht vor Gericht. Dafür ließ sich jetzt Petro Poroschenko hören. Da der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) die Verhöre und Durchsuchungen in der Affäre fortsetzte, erklärte er, der SBU selbst stelle eine Gefahr für den Staat dar und müsse grundlegend umgestaltet werden.
Das war ein klarer Hinweis an Oleksandr Turtschinow und Julia Timoschenko: »Die Ermittlungen sind beendet, vergesst die Sache.« Statt Krieg gegen die frühere Metropole führte die Umgebung des Präsidenten jetzt Krieg gegen die Mannschaft der Ministerpräsidentin. Und der Chef des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung, Petro Poroschenko, begab sich nach Moskau, um mit Gazprom über die Bedingungen weiterer Gaslieferungen zu verhandeln.
Das Signal des Präsidenten war für Julia Timoschenko unmissverständlich. Die alten Schemata blieben in Kraft. Nur die Personen, die sie betrieben und jetzt die Gasmilliarde in die Tasche steckten, hatten gewechselt.
Nach ihrem Rücktritt sollte sie wiederholt erklären, dies sei der eigentliche Grund für ihre Vertreibung aus dem Amt gewesen. Die neuen Eliten waren wieder mit den alten zusammengewachsen. Kutschmas Clans hatten den Staffelstab an die jungen Oligarchen aus Juschtschenkos Gefolgschaft weitergegeben. Sie und Turtschinow waren die letzten Bastionen der Ideale des Maidans innerhalb der Staatsmacht gewesen.
Natürlich vereinfacht Julia Timoschenko, wenn sie den Konflikt darauf reduziert, dass sich korrupte Geschäftsleute und Beamte aus der Umgebung des Präsidenten einerseits und sie als Trägerin der reinen Ideale des Maidans andererseits unversöhnlich gegenüberstanden. Ministerpräsidentin und Präsident hatten gegensätzliche Positionen, was den weiteren Umgang mit Staat und Wirtschaft betraf.
Der gemäßigte Reformer Juschtschenko mit seinen amerikanisierten Vorstellungen von Marktwirtschaft hielt Julia Timoschenkos wirtschaftspolitische Auffassungen für sozialistische Fantastereien. In der liberalen Presse der Ukraine und Russlands wurde Julia Timoschenko mit Putin verglichen, der nach seinem Machtantritt ebenfalls Oligarchen der Jelzin-Zeit enteignet hatte.
Vielleicht hatte Juschtschenko recht. Das leidenschaftliche Eintreten für die Interessen des Volkes und für Gerechtigkeit nahm bei Julia Timoschenko zuweilen sehr merkwürdige Formen an.
Wahr ist aber auch, dass sie und nicht der Präsident sich der Korruption in diesem Land in den Weg gestellt hat. Einige Tage vor dem Rücktritt der Regierung, als der Bruch noch nicht geschehen, aber abzusehen war, teilte Taras Stezkiw, einer der »Feldhauptleute« der orangefarbenen Revolution, der Presse seine bitteren Gedanken über die Macht mit: »Juschtschenko ist seiner Natur nach ein absoluter Demokrat, ein typischer Ukrainer, der einen zivilisierten Staat anstrebt, aber
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