Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
ihrer Klasse. Mit ihrem Triumph bei den Olympischen Spielen von München 1972 – drei Goldmedaillen! – setzte sie der Epoche der reifen Frauen ein Ende. Mit ihr begann im Frauenturnen die Ära der halben Kinder – kleine, zarte Mädchen ohne Busen und weibliche Hüften. Diese Winzlinge hatten vor nichts Angst, dafür aber einen eisernen Willen.
Dieser Trend war die Chance für Julia, die immer unter ihrer geringen Größe gelitten hatte. Die sowjetischen Turnerinnen glänzten in der ganzen Welt, räumten bei Meisterschaften und Olympischen Spielen im Ausland die Medaillen und zu Hause die staatlichen Auszeichnungen ab. Eine berühmte Turnerin zu werden, war der Weg aus dem »Haus des Taxifahrers« in ein unbeschwertes, wunderbares Leben voller Applaus, Blumen und allgemeiner Beliebtheit. Von der Kehrseite des Leistungssports – von Doping und späteren Gesundheitsproblemen der Turnerinnen, verursacht durch Überanstrengung und Verletzungen im frühen Kindesalter – wusste man damals noch nichts oder wollte nichts davon wissen. Erst Jahrzehnte später, als Olga Korbut nach Amerika ging, sollte sie von ihrem Trainer berichten, der sie und die anderen Mädchen mit Prügeln zu sportlichen Höchstleistungen trieb oder zum Sex zwang.
Julia hatte die Zielgerade zum Erfolg schon erreicht, war Anwärterin auf den Titel »Meister des Sports«, als sie beim Training vom Balken stürzte und sich das Schlüsselbein brach. Eine wahre Katastrophe. Der Bruch erwies sich als so kompliziert, dass sie alle Hoffnung auf eine sportliche Karriere begraben musste. Aber vom Turnen sind ihr die tadellose Körperhaltung und der eiserne Wille zum Sieg geblieben. In einem Interview sagte Julia Timoschenko später, sie fühle sich noch immer wie eine Sportlerin, der keine Anstrengung zu schwer ist.
Hochschulen gab es zwei in ihrem Leben. Zunächst schrieb sich Julia am Bergbauinstitut von Dnipropetrowsk ein. Dann überlegte sie es sich anders und bestand die Aufnahmeprüfung für die noch angesehenere Staatliche Universität der Stadt. An der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät begann sie Wirtschaftskybernetik zu studieren. Nach Schwangerschaft und Entbindung setzte sie das Studium fort, wechselte aber noch einmal zur Arbeitsökonomie. Dieser Entschluss war endgültig.
Die Universität besuchte Julia mit Erfolg.
Von Kommilitonen sind Geschichten über gebrochene Herzen, heimliche Liebeleien und offene Bekenntnisse – auch nach ihrer Heirat – überliefert. Julia kleidete sich gut und mit Geschmack. Kosmetik benutzte sie kaum. Sie zeigte sich lieber, wie die Natur sie geschaffen hatte. Dabei war Julia eine stolze, wählerische Schönheit. Ein Mitstudent, der jahrelang in sie verliebt war, hatte nie eine Chance. Er kam aus einer einfachen, mittellosen Familie. Zumindest ist das die Erklärung ihrer Mitstudentinnen, die allen Grund hatten, die erfolgreiche Julia zu beneiden. Mit Männern kam sie stets besser aus als mit Frauen.
Im Studentenalltag war sie umgänglich und großzügig. Vor den Prüfungen ließ sie andere ihre Konspekte abschreiben, was gar nicht zu einer Beststudentin der Sowjetzeit passte. Das waren eher strenge, unzugängliche Frauenzimmer, die Faulenzern und Nichtstuern eher Ermahnungen und Belehrungen zukommen ließen. Julia Timoschenko war anders.
Als sie schon mit 20 Jahren ein Kind bekam, beklagte sie sich nie bei ihren Lehrern darüber, wie schwer Studium und Kindererziehung zu vereinbaren seien. Im Unterschied zu anderen jungen Müttern kam sie auch nicht mit der Tochter im Kinderwagen zur Vorlesung. Dafür gab es keinen Grund. Die Studentin Timoschenko erhielt weiterhin ausgezeichnete Noten und legte Prüfungen vorfristig ab. Manchmal gleich zwei an einem Tag. Besonders lag ihr das Hauptfach Ökonomie mit allem, was dazugehörte.
Mitstudenten berichten, dass Julia Timoschenko bereits damals als sehr ehrgeizig galt. Wichtiger als ein »Sehr gut« im Studienbuch war für sie, einen eigenen Standpunkt zu haben. Mit Freunden und Professoren debattierte sie bei jeder Gelegenheit – immer hitzig, manchmal hart und stets darauf bedacht, das letzte Wort zu behalten. Bestätigung suchte sie auch im Umgang mit Menschen, die sie kaum kannte. Dabei konnte sie zurückhaltend und wortkarg sein – vielleicht aus Furcht, etwas Falsches zu sagen und sich lächerlich zu machen. Dass andere über sie lachten, war ihr unerträglich.
Wenn man es mit den stürmischen Zeiten vergleicht, die nach Breschnews Tod
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