Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
herumzuschleppen ist mühsam und riskant. Das musste Julia Timoschenko im März 1995 im Flughafen Saporischschja selbst erfahren. Im Prinzip sind die Zöllner und Grenzer Leute, mit denen man sich immer einigen kann. Aber manchmal kommt es zu einem Störfall, vor allem dann, wenn die Konkurrenz daran Interesse hat.
Gänzlich ignorieren konnte man den Staat in der postsowjetischen Wirtschaft nicht, vor allem nicht in der Ukraine. Kein einziges bargeldloses Projekt hätte funktioniert, kein einziger Geldkoffer den Besitzer gewechselt, hätten nicht hinter jedem seriösen Makler dieses neuen Tauschmarktes zwei ebenso seriöse Staatsbeamte gestanden. Ein echter Kapitalist wurde man im postsowjetischen Raum nicht von allein.
Taufpate von KUB war Pawlo Lasarenko. Er hatte damals viele solcher Patenkinder. Im März 1992 ernannte Präsident Krawtschuk den 39-jährigen Absolventen des Landwirtschaftsinstituts von Dnipropetrowsk zu seinem Vertreter in diesem Gebiet, also zum faktischen Chef der Region. Nach und nach brachte er die gesamte Industrie des Gebietes unter seine Kontrolle.
Lasarenko liebte das offene Wort. Einer seiner berühmten Aussprüche lautet, das Land brauche keine »geschwätzigen Politiker«, sondern einen »Chef, der die Ärmel aufkrempeln kann«. Anfang der Neunzigerjahre war er das für das Gebiet Dnipropetrowsk, und zur Mitte des Jahrzehnts beinahe für das ganze Land.
Wie Stalin, Breschnew oder Kutschma hatte auch Lasarenko die einfache Wahrheit verinnerlicht: »Die Kader entscheiden alles.« Nach und nach schleuste er seine Leute in die Machtstrukturen ein und organisierte so das »Zusammenwirken« mit Justiz, Banken und Medien. Er gewann die Unterstützung der führenden Finanz- und Industriegruppen der Region. Für viele von ihnen wurde er der oberste »Chef«. KUB hatte das Glück, zu diesen Auserwählten zu gehören. Natürlich ließ sich Lasarenko die väterliche Sorge um seine »Kinder« gut bezahlen. Millionen Dollar von Dnipropetrowsker Firmen gelangten ins Ausland und füllten seine Konten in der Schweiz, in Polen und den USA. Aber das Schmiergeld für den »Paten« eröffnete den Zahlern ungeahnte Perspektiven.
Das Gebiet Dnipropetrowsk arbeitete sich als eines der ersten aus dem Wirtschaftstief heraus. Der Dnipropetrowsker Clan wurde in der Zeit nach Breschnew von Lasarenko aufgebaut. Endgültig etabliert war er in der Ukraine nicht bereits 1994, als der ehemalige Direktor von Juschmasch, Leonid Kutschma, Präsident des Landes wurde, sondern erst zwei Jahre später, als Pawlo Lasarenko, der bisherige Chef der Region, den Posten des Ministerpräsidenten erhielt.
Für die Absicherung der Firma KUB beim Staat waren Oleksandr Grawez und Julias Schwiegervater Gennadi Timoschenko zuständig. Sie stellten den Kontakt zu Lasarenko und dessen Umgebung her. Grawez knüpfte das kaum noch zu überblickende Netz von Partnern zusammen, zwischen denen der bargeldlose Austausch lief. Julia Timoschenko, die zunächst Wirtschafts- und dann Generaldirektorin von KUB wurde, war anfangs die Rolle des bezaubernden Aushängeschildes, der idealen Unterhändlerin der Firma, zugedacht.
Mit Menschen, besonders mit Männern, umzugehen, war ihr von der Natur gegeben.
»Anfangs hatte ich es als Frau leichter«, sollte sie später eingestehen. »Die Männer nahmen mich nicht recht ernst: Da will so eine mitmischen … Ich denke, eine Frau zu sein, ist ein Vorsprung, den einem das Schicksal gewährt. Männer glauben nie, dass eine Frau für sie eine gleichberechtigte Partnerin oder gar gleich starke Konkurrentin sein könnte. Das ist gut. Als Frau muss man die Vorgabe des Schicksals zu nutzen verstehen.«
Julia Timoschenko war nicht die einzige Frau in der ukrainischen Politik und Wirtschaft. Aber die meisten, besonders die Politikerinnen, versuchten, ähnlich den Feministinnen im Westen, mit den Männern gleichzuziehen, indem sie ihre Verhaltensweisen, ihre Logik und ihre Aggressivität übernahmen. Julia Timoschenko, die damals grundsätzlich noch keine Hosen trug, sondern stets im Rock oder Kleid erschien, blieb ganz Frau. Sie begriff sehr früh, dass die berüchtigte Schwäche des »schönen Geschlechts« ihr stärkster Trumpf ist. Eine ukrainische Journalistin bemerkte treffend, Julia Timoschenko habe ihr Image mit den weiblichen Eigenschaften ausgestattet, die eine Frau einsetzt, um Männerherzen zu erobern, weniger, um Partner zu überzeugen oder Wählerstimmen zu gewinnen.
Weit geöffnete Augen, langes
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