Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
Haar, das sanft gewellt auf die Schultern fällt, ein freundliches, zuweilen strahlendes Lächeln, mit dem sie dem Partner direkt in die Augen schaut … Ein gedecktes Business-Kostüm mit taillierter Jacke und kurzem Rock, elegante Schuhe auf dünnen, hohen Absätzen. Leicht naiv wirkende Fragen, stets in leisem Ton gestellt. Die ganze Erscheinung zart, schlank, schutzbedürftig und sehr feminin … Die meisten ihrer Partner waren zu jener Zeit ukrainische und russische Beamte, Betriebsdirektoren, Geschäftsleute oder Militärs, das heißt Männer um die 50 und älter. Bei ihnen war mit diesem Auftreten Erfolg garantiert.
Anfangs erkannte keiner in ihr die ehrgeizige, pragmatische, harte Spielernatur mit einer großen Zukunft. Sie wurde unterschätzt. Man war sofort bereit, ihr zu helfen und sie zu unterstützen, um diesen grauen Augen strahlende Dankbarkeit zu entlocken. In ihrer Gegenwart fühlte sich ein solcher Partner stark, bedeutend und klug, empfand leichte Verliebtheit, gemischt mit väterlicher Überlegenheit. Über dem Verhandlungstisch schwebte ein Hauch von erregender Intimität. Dann aber verblüffte sie ihre Partner durch ihre Fähigkeit, mit Geld umzugehen, Geschäftspläne zu entwerfen, die Schritte der Gegner vorherzusehen und selbst Gegenschläge auszuteilen. Dann wieder konnte sie ganz Frau sein. Und auch jene, die hinter alledem das Spiel erkannten, ließen sich in der Regel gern weiter darauf ein.
Nur wenige ihrer Partner, die sie durchschauten, fühlten sich am Ende von ihr übertölpelt. Das war aber wesentlich später, als Julia Timoschenko bereits in Kiew war und dort ihr Geschäft in wahrhaft großem Stil aufzog. Als Dummkopf dastehen will keiner, und so kamen Rachegedanken auf. Ihr Verhältnis zu Männern hat ein Witzbold einmal mit der Geschichte vom Hund und vom Floh verglichen. Entgegen der allgemeinen Annahme benutzt der winzige Floh den großen Hund nicht, um sich von ihm zu ernähren, sondern um auf ihm zu reiten und damit Zeit zu sparen. Der zynische Vergleich traf genau ins Schwarze und schmerzte manchen sehr.
KUB sollte wie zuvor Terminal zu einer guten Schule für Julia Timoschenko werden. Ihre Partner und Konkurrenten, allesamt Männer, benutzte die ehrgeizige Unternehmerin nicht nur, um auf ihrem Weg zu Geld und Ruhm schneller voranzukommen. Sie waren auch ihre Lehrer, und Julia sog gierig neues Wissen ein, das sie bei ihnen erhaschen konnte – über das Knüpfen von Geschäftsbeziehungen über Banken, über Offshore-Gebiete, über Rohrleitungen, über den Öl- und Gasmarkt und dessen Hauptakteure, über die Abhängigkeit der Wirtschaft von der Politik und über die Verbrecherwelt mit ihren eigenen Gesetzen.
Wissensdrang und Lernfähigkeit zeichnen sie bis heute aus.
Menschen, die ihr wirklich nahestanden, durchschauten sie natürlich. In der Firma schätzte und respektierte man sie nicht nur als begabte Unterhändlerin. Fast unbemerkt wurde Julia Timoschenko mehr und mehr zur inoffiziellen Führungsfigur des Unternehmens. Der Schwiegervater vertraute ihr und war von ihr begeistert. Ihr Mann Oleksandr stand bald in ihrem Schatten. Offenbar fehlte ihm jeder Geschäftssinn. Als sanfter, romantischer Charakter, der sich für Sport und Malerei interessierte, belastete er sich nicht mit Geldangelegenheiten und begriff bald, dass er seiner Frau mit ihrem geschäftlichen Ehrgeiz und ihren grandiosen Plänen einfach nicht das Wasser reichen konnte. Er hatte goldene Hände, mit denen er die Wände ihrer winzigen Behausung in Dnipropetrowsk mit wunderbarem Stuck verzierte, aber das Geld für einen echten Palast verdienen – das konnte er nicht.
»Oleksandr und ich ›sehen‹ uns meist nur am Telefon«, bekennt Julia Timoschenko einige Jahre später. Es folgt keine typisch sowjetische Scheidung mit lautstarkem Streit, Teilung des Hausrats und gegenseitigen Beschuldigungen. Es gibt überhaupt keine offizielle Scheidung. Sie leben einfach getrennt. Sie haben ihre Firma, in der Oleksandr seiner Frau noch eine Zeit lang Hilfsdienste leistet. Sie haben ihre Tochter Jewgenia, die von beiden Eltern gleichermaßen geliebt wird. Später kommen gemeinsame Gerichtsprozesse hinzu, vor denen Oleksandr nach einem Jahr Untersuchungshaft nach London flieht, in die Nähe der Tochter, die bereits zuvor zum Studium dorthin gegangen ist. Ab Mitte der Neunzigerjahre lassen sie sich nur noch selten zusammen in der Öffentlichkeit sehen – einmal gemeinsam auf der Anklagebank vor Gericht und
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