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Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Titel: Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilia Milstein , Dmitri Popov
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ohne jede Hoffnung dastand. Andererseits wirkte dieser beinahe familiäre Kapitalismus unauffälliger und äußerlich sympathischer als bei den russischen Nachbarn. Er wurde unblutiger eingeführt. Es war ein Kapitalismus im kleinen Kreis, der kein Aufkommen von Mittelschichten vorsah, um die in Russland erbitterte Kämpfe entbrannten. Ein Kapitalismus der Beamten, der aussichtsloseste von allen, aber mit den größten Möglichkeiten für jene, die nach Verwandtschaft oder Funktion der Futterkrippe am nächsten standen.
    Ein solcher Mann war Oleksandr Grawez, den sich Julia Timoschenkos Familie in dieser Zeit zum Hauptgeschäftspartner erkor. Grawez hatte zwölf Jahre lang in der Abteilung Arbeit des Gebietsexekutivkomitees von Dnipropetrowsk gearbeitet. Julia hatte ihn bereits als Ingenieurin für Arbeitsorganisation im Leninwerk und Initiatorin des Brigadeauftrages kennengelernt. Seit jener Zeit waren sie befreundet. Nun avancierte Grawez zum Haupteigentümer des Unternehmens »Ukrainisches Benzin« (KUB). Die auf Zypern eingetragene Offshore-Firma »Somolli Enterprises Ltd.« besaß 85 Prozent des Stammkapitals des Unternehmens. Der bescheidene Beamte des Dnipropetrowsker Exekutivkomitees hatte insgesamt 60 000 Dollar investiert. Julia und Oleksandr Timoschenko waren offiziell nur mit je 5 Prozent an KUB beteiligt.
    Der stolze Name des Unternehmens hatte mit der Realität nichts zu tun. Es war zu vier Fünfteln in zyprischer Hand. Aber das Benzin kam aus Russland.
    Zu Breschnews Zeiten, da überall Mangel herrschte, maß sich der Wohlstand einer Sowjetrepublik daran, wie gut sich die ­Bevölkerung ernährte. Die Ukraine mit ihrer einzigartigen Schwarzerde, ihrem milden Klima und einer trotz gnadenloser Vernichtung in den Dreißigerjahren starken Bauernschaft war eine der Unionsrepubliken, wo es der Bevölkerung am besten ging. Der materielle Wohlstand wurde als eines der Hauptargumente für die Unabhängigkeit ins Feld geführt. Die überzeugten Nationalisten erklärten ihren zweifelnden Mitbürgern vor dem Referendum, die Ukraine produziere 1000 Kilogramm Weizen pro Kopf und Jahr, verbrauche aber nur 140 Kilogramm, sie erzeuge 86 Kilogramm Fleisch, benötige selbst aber nur 68 Kilogramm. Daraus konnte jeder nur die Schlussfolgerung ziehen: Die Unabhängigkeit versprach dem Land Reichtum und Wohlstand.
    Als aber die UdSSR zerfiel, mussten die Ukrainer ganz andere Zahlen zur Kenntnis nehmen. So benötigte das Land 20-mal mehr Erdöl, als es selbst fördert. Die Industriegiganten der Metallurgie, der Chemie und des Maschinenbaus in ihrer Ostregion sind wahre Energiefresser, die ohne billiges russisches Erdöl und Erdgas nicht überleben können. Zu Wendezeiten der Neunzigerjahre wollte auch keiner sehen, wie eng verflochten und voneinander abhängig die Wirtschaften der Sowjetrepubliken waren. Längst vergessen war das zynische Bekenntnis Stalins, des Architekten des Sowjetreiches: »Wir haben unseren Staat so zusammengefügt, dass kein Teil, der aus dem sozialistischen Staatsverband herausgerissen werden sollte, selbstständig existieren kann.« Als die Freiheit kam, schnappte die Falle zu.
    Die politische Unabhängigkeit brachte der Ukraine den Zusammenbruch ihrer Wirtschaft. Zwischen 1990 und 1993 sank die Produktion der Metallurgie, zu der in der Ukraine 270 Betriebe gehören, um ein Drittel. Die Chemiewerke standen still, weil 80 Prozent ihrer Rohstoffe aus den Republiken der ehemaligen UdSSR kamen. Wohnungs- und Industriebau stellten ihre Tätigkeit ein. Eine Leichtindustrie gab es bald nicht mehr.
    Die makroökonomischen Kennziffern waren katastrophal. Binnen zweier Jahre wurde das Bruttoinlandsprodukt nahezu halbiert. Der Umfang der Industrieproduktion sank um 41 Prozent, der Lebensmittelherstellung um 35 Prozent. Hunderttausende Menschen verloren ihre Arbeit, und wer sie noch hatte, erhielt monatelang keinen Lohn. Das Volk wurde immer ärmer und stürzte in dumpfe, hoffnungslose Verzweiflung. Im Frühjahr 1992 erinnerte ein ukrainischer Publizist an die Zahlen in den Flugblättern der Fürsprecher der Unabhängigkeit und schrieb die bitteren Zeilen: »Auf dem Weltmarkt gibt es jetzt für eine Tonne Weizen eine Tonne Erdöl. Auf dem sowjetischen Markt bekamen wir dafür neun Tonnen und in Russland nach Freigabe der Preise immer noch drei. Wenn Kiew nicht lernt, die Erntemaschinen mit Speck zu betreiben, dann werden wir die Ernte des Jahres 1992 nicht einbringen können, die noch nicht einmal gewachsen ist.

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