Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
Sie wurde lange gefoltert. Die ausführliche Beschreibung der schrecklichen Qualen, die sie ertragen musste, bildet zusammen mit der Lobpreisung ihrer außergewöhnlichen Schönheit das Herzstück ihres Mythos. Man führte sie nackt durch die Stadt, schlug sie blutig, schnitt ihr die Brüste ab, zerfleischte die Wunden mit scharfen Scherben, versengte sie mit Feuer, schlug ihr mit dem Hammer auf den Kopf und quälte sie mit scharfen Haken. Als sie sich trotz alledem nicht von ihrem Glauben lossagte, verurteilte man sie zum Tode. Am Ende schlug der eigene Vater ihr den Kopf ab. Ihre sterblichen Überreste wurden im 12. Jahrhundert als Reliquien nach Kiew überführt.
Was hatte die Märtyrerin Warwara mit einer strahlenden jungen Dame gemein, die stolz das Abzeichen einer Abgeordneten trug? Als Julia Timoschenko vier Jahre später 42 Tage im Untersuchungsgefängnis verbrachte, kam ihr der Orden wieder in den Sinn. »Ich überlegte damals, warum ich ausgerechnet den Orden der Märtyrerin Warwara erhalten hatte. Einer Frau mit so schrecklichem Schicksal … Jetzt erst begriff ich, wie weitblickend die Kirchenväter bei dieser Auszeichnung gewesen waren. Das Beispiel der frommen Frau sollte mir helfen, meinen schweren Weg in Würde zu gehen.«
In Interviews, besonders fürs Fernsehen, driftet Julia Timoschenko zuweilen in kitschiges Pathos ab. In diesem Falle kann man sie jedoch verstehen. Das Gefängnis war bislang die härteste Prüfung ihres Lebens, die sie als körperliche und moralische Folter empfand. Ein russischer Schriftsteller bemerkte dazu einmal, er habe nichts für Pathos übrig, aber im Leben gebe es Augenblicke, da es kaum zu vermeiden sei.
Das Schicksal der Warwara, das Julia Timoschenko auf sich bezieht, suggeriert ihr ein wichtiges Element des neuen Bildes, das sie von sich schafft: das der schönen Frau, die für ihre Überzeugung leidet. Allerdings sollte sie nicht die Märtyrerin Warwara zu ihrem Symbol erwählen, sondern eher Jeanne d’Arc. Julia Timoschenko ist vielmehr eine Kämpfernatur als eine Märtyrerin, die ihre Leiden ohne Murren auf sich nimmt. Beiden sagt man allerdings überirdische Schönheit nach …
Der Kirchenorden ist eine angenehme, aber nicht die einzige Überraschung, die die Abgeordnete Timoschenko erlebt. Jetzt wird sie richtig berühmt.
Achtes Kapitel
Die Gasprinzessin
In der Sowjetunion zeichneten kleine Mädchen gern Prinzessinnen in ihre Schulhefte. Die trugen Schuhe mit hohen Absätzen, hatten riesige blaue Augen, Puffärmel, Wespentaillen, Reifröcke und goldblondes Haar.
Als das Mädchen Julia aus dem »Haus des Taxifahrers« am Kirow-Prospekt von Dnipropetrowsk groß war, wurde sie selber eine Prinzessin. Jetzt kann sie sich Kleider, so viel sie will, von jedem französischen Couturier leisten. Die italienischen Schuhe mit hohen Absätzen kann niemand mehr zählen. Ihre Kleider entwirft sie selbst. Wenn sie mit der Schneiderin darüber berät, versieht sie sie mit Puffärmeln. Schließlich färbt sie sich auch noch das Haar blond.
Der Name »Gasprinzessin« ist nur eine der zahlreichen Erfindungen der Journalisten. Wenn die Zeitungen über die JeESU-Präsidentin und Abgeordnete der Obersten Rada schreiben, dann übertreffen sie sich förmlich beim Ausdenken kitschiger Namen. Weniger die Hauptstadtpresse als die Provinzgazetten nennen Julia Timoschenko in jenen Jahren die »gute Fee«, die »schaumgeborene Venus«, »Lady Ju« oder einfach »Sie«.
Das Wort »Gas« in Kombination mit »Prinzessin« klingt nicht nach dem Zischen eines Gasherdes oder dem Knistern mit russischem Gas verdienter Dollarnoten, sondern eher geheimnisvoll wie halb durchsichtige Schals und Tücher. Am Anfang stand eine Julia Timoschenko gewidmete Modekollektion namens »Gaskönigin«. Aus diesen Seidenfähnchen und dem Bild von der halb durchsichtigen blauen Flamme wurde der Name geboren. Journalisten, denen Prinzessin Diana in den Sinn kam, deren Kult bis in die Ukraine schwappte, machten aus der »Königin« schließlich die »Prinzessin«.
Neu erworbener Ruhm hat stets viele Gesichter und Kontraste. Ein und dieselbe Person, eine junge Frau namens Julia Timoschenko, wird zugleich zur Heiligen und zur Verbrecherin erklärt, zum Symbol für Reinheit und wilde Ausschweifungen, zur Schönheitskönigin und zu einem »Produkt« von Imageberatern, zur Wohltäterin und zum Ungeheuer.
Bald ist sie von Provinzschneidern, Sportlern, Popen und Militärs umschwärmt. Man schreibt ihr Briefe, deren
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