Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
aber ist klein, verwünscht und sehr gefährlich – ein Teufelskreis.
In der postsowjetischen Geschäftswelt hat man jeden zu fürchten. Eine Ausnahme bilden nur ganz wenige, die einem am nächsten stehen. Aber auch die haben bereits verraten und verkauft. Beispiele gibt es genug.
Pawlo Lasarenko soll später über Julia Timoschenko sagen, er habe ihr nie vertraut. Dasselbe könnte man von ihr auch über ihn hören und über alle, die ihr nahestanden – zunächst bei KUB und später bei JeESU. Von welchem Vertrauen kann auch die Rede sein, wenn sie selbst in die cleveren Geschäftsideen, die sie all die Jahre entwickelte, Sicherungen gegen Betrug durch die engsten Partner einbauen musste? Verlogenheit und Niedertracht des Partners wurden immer vorausgesetzt, um das Risiko so gering wie möglich zu halten. Sie hat niemandem geglaubt und niemand hat ihr vertraut. Wie soll da Liebe entstehen?
Als sie einmal Jahre später mit einem kalten Lachen an die Neunzigerjahre zurückdenkt, gibt sie sich offen: »Anfangs haben alle, mit denen ich Geschäfte machte, geglaubt, hinter mir stehe ein starker Mann mit breiten Schultern. Ich sei einfach …« Sie überlegt und sucht nach dem richtigen Wort, kann es aber nicht finden. »Dann haben sie begriffen, dass es nicht so ist.« Sie fügt noch hinzu, es seien immer Männer an ihrer Seite gewesen, die sie »Kampfgefährten« nennt, als rede sie von Krieg. »Aber irgendwann ist jeder wieder verschwunden, und ich bin meinen Weg weitergegangen.« Ganz allein? So offen ist sie nun auch wieder nicht.
Besonders einsam wurde es um sie, als Jewgenia zum Studium nach England ging, um dort weiter die Schule zu besuchen. Das war noch zu Zeiten von KUB, und die Tochter war ganze 13 Jahre alt. Wie oft weinte sie ins Telefon und bat, man möge sie wieder nach Hause holen. Auch Julia musste weinen, forderte dann aber: »Halte durch, Töchterlein, wir sind bei dir!« Während ihrer Zeit als JeESU-Präsidentin wurde ständig zwischen London und Kiew hin und her telefoniert.
Dann setzte sich auch ihr »Kampfgefährte« Oleksandr Grawez ins Ausland ab. Er hatte die Nerven verloren und begriffen, dass es Zeit war, vom Spieltisch aufzustehen und den Gewinn in Sicherheit zu bringen. Grawez zog seinen Anteil aus JeESU heraus und siedelte nach Israel über. Julia Timoschenko blieb zurück. Sie konnte und wollte nicht fliehen. Sie sah durchaus, dass sie im Ausland sicherer war als in der Ukraine, dachte aber nie ernsthaft daran, aus dem Land fortzugehen. Auf Jewgenia und Grawez folgen noch viele bittere Abschiede. Zahlreiche Geschäftspartner verlassen das Land. Später bringt sie Oleksandr und den Schwiegervater ins Ausland, weil die Staatsanwaltschaft sich für sie interessiert. Nach ihnen muss sie noch unzähligen Freunden, Kollegen und Verwandten den Weg in andere Länder bahnen. Im Dezember 1998 verlässt schließlich ihr früherer Schutzherr Lasarenko mit ihrem Privatflugzeug das Land. Ihn erreicht die Rachegöttin allerdings in der Schweiz, und er wird schließlich in San Francisco vor Gericht gestellt …
Einer der wenigen Männer auf Julia Timoschenkos Weg, der ihr als Spielernatur das Wasser reichen konnte, war Viktor Pintschuk. Sie glaubte immer, sie könnte mit jedem auskommen, denn sie hat die Fähigkeit, Kompromisse zu schließen, andere zu umgarnen und auf ihre Seite zu ziehen. Mit Pintschuk gelang ihr das nicht.
Dabei hatten sie so vieles gemeinsam. Sie waren gleichaltrig, ihre Geburtsdaten trennten kaum zwei Wochen. Beide stammten aus Dnipropetrowsk und hatten ihre geschäftliche Laufbahn mit Unterstützung von Verwandten im Gebietsexekutivkomitee begonnen. Während Julia Timoschenkos Schwiegervater den Filmverleih des Gebietes leitete, war der von Viktor Pintschuk Chef der Abteilung Gesundheitswesen. Sie galt als Schönheit, er als interessanter und gebildeter Mann von feinem Geschmack. Beide waren stolze Charaktere, die keine Furcht kannten. Pintschuk ist einer der wenigen Oligarchen der Ukraine, der ungeachtet des verbreiteten Antisemitismus seine jüdische Herkunft nie verleugnet hat. Im Gegenteil, seine Zugehörigkeit zu einer alten jüdischen Familie, deren Geschichte bis ins 17. Jahrhundert zurückgeht, trug er stolz zur Schau.
Julia Timoschenko und Viktor Pintschuk hatten gemeinsame Geschäftsinteressen bei Erdöl, Gas und Metall. 1990 versuchten sie sich zu vereinigen und gründeten die gemeinsame Firma »Sodruschestwo« (Gemeinschaft), die aus Russland und
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