Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
Mehrfach ist er Zeuge, wie Julia »ihre Schönheit genau dosiert einsetzt«. Wie viel Charme ist hier nötig? 20 oder 200 Prozent? Stets findet sie das rechte Maß. Sie kann einen Gesprächspartner erschüttern und selbst fast ungerührt bleiben.
Zusammen mit ihren Beratern findet sie die unfehlbare Erfolgsformel für diese Wählerschaft. Sie muss schön sein, darf aber nicht herausfordernd wirken. Auffällige Kleidung oder teurer Schmuck verbieten sich von selbst. Sie ist bescheiden und freundlich wie eine Lehrerin vom Lande. Ihre Antworten auf die Fragen der Journalisten und Wähler müssen einfach und radikal klingen. Knauserig darf sie nicht wirken. Zwar soll sie nicht übertreiben, aber ihre Rivalen haben bereits im gesamten Gebiet das Gerücht verbreitet, eine Millionärin aus Dnipropetrowsk habe sich in das gottverlassene Gebiet Kirowograd aufgemacht, um aus dem Hubschrauber Geld zu streuen …
Julia Timoschenko steigt aus dem gewohnten Mercedes in einen schlichten Wolga um und fährt mit ihrer Mannschaft über holprige Wege auch ins letzte Dorf. Der Wahlkampf ist kurz – er dauert ganze zwei Monate. Aber er ist sehr intensiv. Ihr Hauptziel ist es, den Wählern zu beweisen, dass es noch Wunder gibt.
Im ganzen Lande warten Staatsangestellte und Rentner immer wieder vergeblich auf Lohn- oder Rentenzahlungen. Auf Weisung von Ministerpräsident Lasarenko werden den Wählern des Wahlkreises Bobrinez die seit vielen Monaten ausstehenden Summen mit einem Schlag ausgezahlt. Es ist bereits Spätherbst, ein kalter Winter steht vor der Tür. Die Kandidatin Timoschenko stellt den frierenden Einwohnern des Gebietes Kirowograd 5000 Tonnen Kohle kostenlos zur Verfügung, damit sie Schulen und Krankenhäuser heizen können. Die meisten Wähler sind hier Bauern. JeESU verspricht, mit der Verlegung einer viele Kilometer langen Gasleitung zu beginnen, um Gas in die Dörfer zu bringen. Die Jugend verlässt die Gegend, aber für die Großmütter, die hier ihr Leben beschließen wollen, lässt die gute Julia Timoschenko Kirchen restaurieren, die unter den Kommunisten verfallen waren. Und wenn irgendwo in einem Dorfklub mitten bei der Filmvorführung der Strom wegbleibt, dann genügt es, bei Julias Wahlstab anzurufen, und die Lichter gehen wieder an … Mit dem Kino steht sie seit Langem auf Du und Du.
Die Nachricht von der barmherzigen Kandidatin breitet sich in den Nachbargebieten aus. Beinahe in jedem Dorf der Ukraine beneidet man in diesen Tagen die glücklichen Kirowograder und ist traurig, dass man nicht selbst das Glück hat, Julia Timoschenko ins ukrainische Parlament wählen zu dürfen. Scharfzüngige Journalisten fordern, es mögen täglich Parlamentswahlen sein, damit das Problem der pünktlichen Auszahlung der staatlichen Löhne und Renten endlich gelöst werde.
Die Wahlbeteiligung ist gewaltig. Die Ergebnisse erinnern an sowjetische Zeiten, da nur ein einziger Kandidat vom »unzerstörbaren Block der Kommunisten und Parteilosen« auf dem Wahlzettel stand. Julia Timoschenko hat natürlich Mitbewerber. Aber die sind ohne Chance.
Ein bekannter Kiewer Journalist kürt Julia Timoschenko in einer Bilanz des Jahres 1996 höhnisch zur »Politikerin des Jahres«. Ihre triumphale Wahl eröffne der ukrainischen Elite ungeahnte Perspektiven, schreibt er ironisch. »Diese junge sympathische Frau ist im Grunde die Totengräberin des politischen Systems, ja, der Politik selbst. Jetzt braucht man keine politischen Ansichten, keine Plattform mehr zu haben oder sich selbst mit Politik zu befassen. Es genügt, dass man Geld hat.«
Das war geistreich, traf aber nicht den Kern der Sache.
Von den 450 Abgeordneten des ukrainischen Parlaments kann kaum einer behaupten, er habe ein seriöses politisches Programm. Die amorphe, skandalgeschüttelte und geräuschvoll für das Recht eines abstrakten Volkes kämpfende Oberste Rada wurde 1994 noch nach sowjetischem Recht gewählt, das heißt nicht nach Parteilisten, sondern ausschließlich nach dem Mehrheitswahlrecht. Das Parlament hat Fraktionen, hinter denen aber keine realen politischen Parteien stehen. Die Abgeordneten sind in der Regel Beamte oder Unternehmer, was unter den Bedingungen des postsowjetischen Kapitalismus faktisch auf ein und dasselbe hinausläuft. Die Fraktionen vertreten die Interessen der Clans verschiedener Regionen oder Branchen. Sie ringen leidenschaftlich miteinander sowie mit Präsident und Regierung um die Verteilung und Umverteilung der Haushaltsmittel. Die
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