Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
experimentiert ständig daran herum. Sie lässt es gerade oder abgestuft schneiden, regelmäßig färben und sorgfältig legen. Von all den verschiedenen Prozeduren wird es so dünn und brüchig, dass sie etwas ganz Neues probieren muss. Da hat Julia einen ihrer genialsten Einfälle: Sie flicht das Haar zum Zopf und steckt diesen auf wie Lessja Ukrainka, die berühmte Dichterin des 19. Jahrhunderts und Nationalheldin der Ukraine.
Außerdem legt sie sich einen Leibfotografen zu, einen echten Profi ohne eigenen Ehrgeiz. Aus seinen vielen Aufnahmen kann sie in aller Ruhe die besten auswählen und die weniger vorteilhaften spurlos verschwinden lassen.
Die Geschäftsfrau und Volksvertreterin Julia Timoschenko taucht bald in allen Klatschspalten auf. Sie wird zum Star der ukrainischen Massenkultur. Das kommt wie von selbst, denn für die Reporter ist sie eine interessante Figur, und das nicht nur wegen ihres Reichtums wie manch anderer Mächtiger dieser Welt. Sei fällt einfach auf – ein Paradiesvogel unter lauter Aasgeiern in himbeerfarbenen Jacketts und mit erbarmungslosem Blick. Aber diese Welt ist schnelllebig, und auch der schillerndste Typ bleibt nicht von selbst lange interessant. Daher muss sie vom Objekt der Massenkultur nach und nach zu ihrem Schöpfer werden, es lernen, selbst Regisseurin, Autorin und Deuterin des Mythos namens Julia Timoschenko zu sein.
In diesen Jahren beginnt der Mythos, ein Gemisch aus Wahrheit und Lüge, erotischem Flair, Geld und Fantasien hingerissener Journalisten, Klatsch ihrer Gegner und Anekdoten des Publikums, ein Eigenleben zu führen. Er macht sich auf die Reise – zunächst durch die Ukraine, dann durch die Länder der ehemaligen Sowjetunion, schließlich durch Europa und die ganze Welt. In diesem Mythos verschmelzen die Gegensätze. Als Produkt der Massenkultur ist Julia Timoschenko Lady Winter, die verführerische Schurkin aus den »Drei Musketieren«, die Grundschullehrerin, die auf jede noch so komplizierte Frage eine einfache Antwort weiß, und das »internationale Mädchen« aus dem Sowjetfilm, das sich mit Hingabe um die Erniedrigten und Beleidigten sorgt.
Die Schale des Mythos erstarrt bald zum Panzer, durch den der lebendige Mensch kaum noch zu erkennen ist. Je geschickter Julia Timoschenko gegenüber Reportern Aufrichtigkeit mimt, desto weniger erfährt man über sie. Der Lebensrhythmus der Abgeordneten und JeESU-Präsidentin ist so rasend schnell geworden, sie hat so unmäßig viel zu tun, dass ihr selbst keine Minute bleibt, um einmal innezuhalten und zu überlegen, wo sie in diesem Leben steht und was sie selbst wirklich will.
Julia Timoschenko dürstet nach Ruhm, Geld, Anerkennung und dem Jubel der Menge. All das hat sie nun im Übermaß, aber sie spürt ständig, dass etwas fehlt. Leere breitet sich in ihr aus. Wie sie einst die »hölzernen« sowjetischen Rubel in harte Valuta wechselte, möchte sie nun Ruhm, Geld und Jubel gegen etwas Dauerhafteres, Verlässlicheres eintauschen.
Ihre Karriere als Geschäftsfrau ist atemberaubend. Im persönlichen Leben dagegen hat sie kein Glück. Zwar ist sie von Männern umschwärmt und braucht nur mit dem Finger zu winken, aber der Richtige ist nicht dabei.
Vielleicht liegt es daran, dass nach Oleksandr keiner kommt, mit dem sie sich so leicht, unbeschwert, ruhig und glücklich fühlt wie in ihrer Jugend? In einem Interview bekennt sie, ihre schönste Erinnerung an die Hochzeit sei der Morgen danach gewesen, als sie ihrem Mann das erste Frühstück vorsetzte, das beklemmend-freudige Gefühl, dass die Kindheit endlich vorüber war und sie nun jeden Tag einem geliebten Menschen etwas Gutes tun konnte. Für wen aber soll sie sich jetzt an den Herd stellen? Vielleicht nennt sie deshalb in all diesen Jahren Oleksandr auch weiterhin ihren Mann, die erste und einzige Liebe ihres Lebens, und tut so, als seien sie immer noch zusammen, als habe sie eine Familie.
Tatsächlich braucht sie Oleksandr längst nicht mehr, und kein anderer Mann vermag starke Gefühle in ihr zu wecken. Die hat sie in diesen Jahren verströmt – sehr starke Gefühle, brennender und strahlender als die Liebe. Wie soll man sie nennen: Macht? Geld? Selbstbestätigung? Alles richtige Begriffe, aber keiner trifft den Kern.
Inzwischen ist mehr oder weniger klar, warum sie allein bleibt. Sie ist allein, selbst wenn sie sich hin und wieder kurzzeitig einen Boyfriend zulegt. Der stammt entweder aus ihrem Kreis oder wird in ihn hineingezogen. Dieser Kreis
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