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Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Titel: Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilia Milstein , Dmitri Popov
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mit ihnen spricht und Abmachungen trifft, fühlt sie sich ihnen schon lange überlegen und von ihnen abgestoßen. Dieses Gefühl zu verbergen, fällt ihr von Mal zu Mal schwerer.
    Im Grunde verachtet sie sie alle. Warum soll sie, klug, weitblickend, stark und furchtlos, wie sie ist, diesen Politikern gehorchen und nicht sie ihr?
    Aber das ist es nicht allein. Die strenge Dame im offiziellen ­Outfit, deren Tagesablauf nach Minuten geplant ist, beginnt über Themen nachzudenken, von deren Existenz sie früher kaum etwas ahnte. Diese Gedanken versteht sie selbst noch nicht ganz. Die Worte kennt sie zwar, aber es ist, als gingen sie ihr zum ersten Mal durch den Sinn. »Ukraine«, »Heimat«, »ein Leben in Gerechtigkeit« …
    Was geht sie die Ukraine an, wenn sie ihr Ding machen, also Geld verdienen muss?
    Was verbindet sie außer dem Pass, ihrem Geschäft und dem Abzeichen der Abgeordneten eigentlich mit diesem Staat, der 1996 gerade erst fünf Jahre alt ist?
    Ihr Vater trägt den armenischen Familiennamen Grigjan und den jüdischen Vatersnamen Abramowitsch. Ihre Mutter heißt Telegina wie eine echte Russin. Julias Muttersprache ist Russisch. Als Schülerin hieß sie nach dem Vater, als Studentin nach der Mutter. Seit der Heirat trägt sie den ukrainischen Namen ihres Mannes. Als aber ein aserbaidschanischer Reporter sie nach ihrer Herkunft fragt, antwortet sie einmal, ihre Wurzeln reichten über viele Generationen bis in die lettische Hauptstadt Riga. Und einige Jahre später heißt es dann, ihr Vater sei von Nationalität Lette.
    Nach ihrer Herkunft und ihrem Wohnort, der sowjetischen Raketenhauptstadt Dnipropetrowsk, ist Julia Timoschenko ein typisches Kind des Imperiums. Des Reiches, in dem sich Nationalitäten, Sprachen und Kulturen mischten. Wo die Bevölkerung, wie Genosse Breschnew auf einem Parteitag offiziell verkündete, eine »neue Menschengemeinschaft – das Sowjetvolk« – darstellte.
    Als Ukrainerin fühlt sie sich vor allem in Russland. Hier hört jeder sofort ihren »südrussischen« Akzent und betrachtet ihren Pass sehr von oben herab. Nahezu jeder Einwohner Russlands fühlt sich persönlich gekränkt, dass die Ukraine die Unabhängigkeit gewählt hat. Es ist, als hätte ein jüngerer Bruder an seinem treu sorgenden und liebenden älteren gemeinen Verrat geübt.
    Wie man sich auch müht, den Russen ist im Grunde nicht beizubringen, dass die Ukraine nicht Russland ist, dass dieser Teil des früheren Imperiums seinen eigenen Weg geht und ungeachtet seiner Abhängigkeit vom russischen Gas, der Käuflichkeit mancher Kiewer Beamter (die bereit sind, um die Unabhängigkeit ihren Schacher zu treiben), ungeachtet dessen, dass im Osten und Süden des Landes, ja sogar in der Hauptstadt Kiew immer noch Russisch gesprochen wird, dieser im Jahre 1991 gegründete Staat niemals wieder in die liebevolle Umarmung Moskaus zurückkehren wird. Selbst Präsident Kutschma scheitert hier, obwohl er seinem Buch des besseren Verständnisses wegen den Titel gegeben hat: »Die Ukraine ist nicht Russland«.
    Die Ukraine in die Einflusssphäre Russlands zurückzuholen – das sehen viele russische Politiker als strategische Aufgabe. Wem das gelingt, dem ist die Liebe des russischen Volkes und eine lange politische Karriere sicher.
    All das macht Julia Timoschenko wütend bis zur Weißglut. Große Pläne und Grundsatzentscheidungen reifen in ihrem Kopf. Ukrainisch muss sie lernen, und sei es auch nur den arroganten Moskauern zum Trotz. In ihr gärt und brodelt es. Sie hat Gedanken und Ideen, noch kaum erwogen, in denen die Begriffe von Gerechtigkeit und Macht einander nicht widersprechen. Sie scheinen sogar eine gewisse Harmonie miteinander einzugehen. Und das Wort »Ukraine« erhält einen immer stolzeren Klang.
    Aber diese noch vagen Gedanken muss sie erst für sich formulieren, ordnen und durchdenken. Die Zeit, in der sie Geld gemacht hat, geht zu Ende. Es kommt die Zeit, da sie nach exakten Begriffen sucht.
    Das Problem muss weiter gefasst werden. Als Politikerin hat Julia Timoschenko noch keine eigene Stimme. Ein blendendes Äußeres ist gut für Fernsehshows, für den Film oder die Bühne. Wer zur Elite gehören will, und sei sie auch so bizarr wie in den Ländern der ehemaligen UdSSR, muss wenigstens eine relative Selbstständigkeit aufweisen. Der Erfolg wird von der Stärke des Charakters und des Einflusses bestimmt, der wiederum davon abhängt, welche Gruppierungen, Clans, Parlamentsfraktionen, Minister oder

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