Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
aber eingegangene Zahlungen größtenteils in die eigene Tasche. Bei den Stromproduzenten kam kaum etwas an. Denen fehlten die Mittel, neuen Brennstoff für ihre Kraftwerke zu kaufen. Damit in den Städten nicht das Licht ausging und die Betriebe nicht buchstäblich stehen blieben, musste der Staatshaushalt einspringen. Das ganze System war natürlich mit astronomischen Bestechungsgeldern geschmiert. Julia Timoschenkos Reform lief darauf hinaus, dass die Zahlungen der Verbraucher direkt in den Energiemarkt flossen und nicht den Umweg über die regionalen Stromversorger nahmen. Dafür wurden bei der Sparkasse besondere Konten eingerichtet. Das System war jetzt offen, verständlich und vor allem vom Staat kontrollierbar.
Der Schlag gegen die regionalen Energieversorger traf eine weitere Gruppe, die Kutschmas Wiederwahl 1999 finanziert hatte.
Das waren die »Großen Sieben« oder der Kiewer Clan. Sieben Geschäftsleute hatten an der Wende von den Achtziger- zu den Neunzigerjahren ein verzweigtes Imperium geschaffen, das aus einer unüberschaubaren Zahl von Offshore-Firmen, Joint Ventures und Banken bestand, die mit alkoholischen und nichtalkoholischen Getränken handelten, sich mit Finanzen, Elektroenergie, Öl und Gas, Metallurgie, Schiffbau, der Zuckerindustrie befassten sowie Fernsehsender und Zeitungen ihr eigen nannten. In der ukrainischen Presse hieß es, dahinter stehe die Kiewer Verbrecherwelt.
Die »Großen Sieben« gingen bei ihren Geschäften nie Umwege. Sie gaben sich auch nicht mit solchen Kleinigkeiten wie einzelnen Betrieben oder Regionen ab. Zu privatisieren war die Schaltstelle der Macht, der Staat selbst.
Die Hauptakteure dieses Kreises waren Grigori Surkis und Viktor Medwedtschuk. Der Erste herrschte über den Kiewer Fußballklub Dynamo. Der Zweite vertrat die Gruppe in der Politik – als Berater des Präsidenten, als Abgeordneter, später als der allmächtige Chef der Präsidialadministration, Kutschmas graue Eminenz. Eine Zeit lang wurde er sogar als dessen Nachfolger im Amt gehandelt. 1994 hatte sich die Gruppe verrechnet und ihr Geld für Krawtschuks Wiederwahl angelegt. Danach war sie umgeschwenkt und gehörte seitdem zu Kutschmas eifrigsten Spendern.
Wie die meisten ukrainischen Politiker war auch Ministerpräsident Pustowoitenko ein Fußballfan. Seine Mannschaft hieß Dynamo Kiew. Es war Pustowoitenko gewesen, der Grigori Surkis die staatlichen Aktienpakete an den Energieversorgungsgesellschaften der Gebiete Kirowograd, Ternopil und Cherson für ein Butterbrot überließ. Anfang 1999 hatten Surkis & Co. auch alle Stromerzeuger der Westukraine sowie der Gebiete Tschernihiw und Sumy unter ihre Kontrolle gebracht.
Das Programm »Saubere Energie« war ein harter Schlag gegen den Kiewer Clan. »Ich bin selber dabei gewesen«, erinnert sich der anonyme Regierungsbeamte, »als Julia Timoschenko ein Papier unterschrieb, das die Gruppe Medwedtschuk-Surkis mindestens eine Million Dollar gekostet hat.« Es heißt, als die Aktion ihren Höhepunkt erreichte, sei der Besitzer von Dynamo persönlich bei der stellvertretenden Ministerpräsidentin erschienen. »Julia«, habe ihr Surkis von Oligarch zu Oligarch gesagt, »ich verstehe ja, dass du den ganzen Unsinn, den du Reformen nennst, aus irgendeinem Grunde nötig hast. Aber wir kennen uns lange genug. Wir müssten uns doch einigen können.«
»Können wir«, räumte die stellvertretende Ministerpräsidentin ein. »Grigori, du musst teilen.«
»Mit wem?«, fragte Surkis rasch und verständnisvoll zurück.
»Mit dem Staatshaushalt«, antwortete Julia Timoschenko.
Sie hatte nicht gelogen, als sie bei ihrer Ernennung erklärte, sie sei nicht zu kaufen.
Bei ihrem Match mit dem Besitzer von Dynamo Kiew wollte die Amateurfußballerin den Gegner wie einst auf ihrem Hinterhof in Grund und Boden stampfen. Es heißt, Surkis sei seiner Feindin einmal im Parlament begegnet und habe ihr, als die Menge sie zusammendrängte, einen kräftigen Rippenstoß versetzt. Julia Timoschenko jagte ihm daraufhin, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, ihren wie immer hohen, spitzen Absatz in den Fuß. Sehr beeindruckt waren die Fernsehzuschauer auch von ihrem Rededuell in der Sendung »Epizentr«, in der Surkis grob wurde, während die zarte Dame ihm in gleicher Münze, aber in vornehmem Ton zurückgab. Dieses Wortgefecht trug dazu bei, dass das Volk die Regierung Juschtschenko mehr und mehr als furchtlose Kämpfer gegen skrupellose Oligarchen sah.
Die Leute schauten mit
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