Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
2,8 Milliarden Dollar.
Diese Erklärung schlug wie eine Bombe ein. Sie fiel mitten in die raffinierten Geschäftskonstruktionen, mit denen man bisher so erfolgreich Milliarden Dollar aus den Staatshaushalten beider Länder auf Nummernkonten in der Schweiz gelenkt hatte. Julia Timoschenko wusste bestens, wie diese funktionierten. Sie wusste auch, dass an dem Deal mit der ukrainischen Seite auch die Paten von Gazprom kräftig verdienten. Außerdem war dies ein Schlag gegen die Leitungen mit dem billigen Gas, das Hauptinstrument der russischen Geopolitik im GUS-Raum. Erst wenn es der Ukraine gelang, das Gasgeschäft aus den politischen Geheimverhandlungen der beiden Präsidenten in den Bereich der normalen Wirtschaftsbeziehungen zu holen, war sie auf dem Wege zu einem wahrhaft unabhängigen Staat.
Die erste harsche Kritik an Julia Timoschenko kam vom Chef der staatlichen AG »Naftagas Ukrainy«, Igor Bakai, dessen Firma die Milliardenschulden vor allem zu tragen hatte. Bakais Schutzherr Oleksandr Wolkow warf ihr mangelnden Patriotismus vor. Auch Präsident Kutschma tat so, als sei er sehr erzürnt. Er fuhr mit Bakai zum Angeln, schimpfte auf »Julia« und versprach dem Hauptfinanzier seines Wahlkampfes, wieder strafrechtliche Ermittlungen gegen die entfesselte Ex-Prinzessin aufnehmen zu lassen. Dann knurrte er über Putin, der ihn in der Zange habe und die Rückzahlung der Schulden verlange, außerdem über den Westen, der Reformen von ihm fordere. Am Ende meinte er, man habe keine andere Wahl, als die Schulden bei Russland einzugestehen. Bald darauf wurde Igor Bakai unter großem Getöse bei Naftagas hinausgeworfen.
Mit dem Segen des Präsidenten.
Aus Moskau zurück, legte Lady Ju richtig los.
Die kurze Zeit, da sie in der Regierung tätig war, kam den Beamten wie ein Wirbelsturm vor. Sie erinnern sich daran mit Schrecken und Begeisterung über die spontanen Kräfte der Natur. Überwiegend mit Begeisterung.
Einer, der vor, während und nach Julia Timoschenkos Amtszeit im Regierungsapparat tätig war und anonym bleiben will, kann bis heute seine Erschütterung nicht verbergen. So etwas hatte er noch nie erlebt und würde er wohl auch nicht wieder erleben … Mit fast religiöser Verehrung erinnert sich dieser Augenzeuge, dass Julia morgens um 7.30 Uhr zum Dienst kam und ihr Büro erst weit nach Mitternacht verließ. Wie sie mit Elan und unter Einsatz der seltensten russischen Schimpfwörter mit den Chefs der Energiegesellschaften der Regionen sprach. Wie sehr sie bei den Leitern aller Strukturen, die ihr unterstanden, gefürchtet war. Wie leichenblass diese zu ihr hineingingen und in noch schlimmerem Zustand wieder herauskamen … Wie riesige Kerle, die sie herbeizitieren ließ, zuvor schlotternd im Krankenbett verschwanden, weil sie so dem Schicksalsschlag entgehen wollten oder in der Tat schon vorher Herzprobleme hatten.
Julia Timoschenko war niemals krank.
Ihr Chef Juschtschenko sah das wilde Treiben seiner Stellvertreterin mit gemischten Gefühlen. »Hören Sie, wie sie auf der Sitzung schreit?«, bekannte er einmal gegenüber einem Reporter der russischen Iswestija . »Sie ist gerade dabei, den Energiemarkt zu säubern.« Dem Ministerpräsidenten selbst kam keines der saftigen Schimpfworte je über die Lippen. Und als sein »Vater« Kutschma ihn am Telefon damit belegte, war der Ärmste so schockiert, dass er nichts zu erwidern wusste.
Das Regierungsprogramm, das Julia Timoschenko erstellte, musste wie immer einen knalligen Namen haben. Sie nannte es »Saubere Energie«. Die Anspielung auf die in Italien laufende Operation »Saubere Hände«, mit der die Mafia ausgerottet werden sollte, war kein Zufall. Es hatte nur zwei Hauptelemente, aber die zerrten den Teil der ukrainischen Wirtschaft ans Tageslicht, der bisher den Steuerbehörden verborgen geblieben war. Und sie zogen der ukrainischen Mafia den Boden unter den Füßen weg.
Erstens wurden in der Energiewirtschaft die Bartergeschäfte (Warentauschgeschäfte) und gegenseitigen Verrechnungen zwischen den Betrieben verboten. Gezahlt wurde nur noch mit realem Geld. Seit ihrer Zeit bei KUB wusste Julia Timoschenko, dass Bartergeschäfte die beste Möglichkeit für Unterschlagungen bieten. Zweitens setzte sie eine Reform durch, die die Spielregeln im Dreieck von Energieproduzenten, regionalen Verteilern und Endverbrauchern neu gestaltete. Bisher behaupteten die Energieversorger in den Gebieten, die Zahlungsmoral der Verbraucher sei schlecht, steckten
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