Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
Amtszeit könnte sich etwas im Lande ändern. Hatte doch der Präsident selbst nach seinem Wahlsieg den Entschluss verkündet, zum progressiven Reformer zu werden, der Welt und dem Lande versprochen, sie würden jetzt einen »neuen Kutschma« kennenlernen.
Der Kartenspieler Kutschma verfolgte noch eine weitere Absicht, die über die Verhandlungen mit dem IWF hinausging und mit den Hoffnungen der ukrainischen Wähler gar nichts zu tun hatte. Juschtschenko war keiner der mächtigen Gruppierungen verpflichtet, die die Ukraine beherrschten. Nachdem Kutschma bei den Wahlen seine Gegner besiegt hatte, wollte er jetzt auch seine Freunde in die Schranken weisen.
Die Oligarchen schickten sich an, Gegenleistungen für die Millionen zu fordern, mit denen sie den Wahlkampf des Präsidenten finanziert hatten. Aber vom Bezahlen hielt dieser bekanntlich nicht viel. Dabei ging es gar nicht in erster Linie ums Geld, sondern um die Macht, die der Präsident mit niemandem teilen wollte. Kutschma wusste genau, mit wem er es zu tun hatte. Reichte er auch nur den kleinen Finger, rissen sie ihm gleich den ganzen Arm ab. Beim geringsten Anzeichen von Schwäche war er in ihrer Hand. Kutschma brauchte eine prowestliche Regierung von Reformern, die der Clanwirtschaft und der Korruption den Kampf ansagten. Mit ihrer Hilfe wollte er die aufmüpfige Schar seiner Gläubiger zum Schweigen bringen; ihnen zeigen, wer Herr im Hause war. Ihnen eindeutig zu verstehen geben, dass er nicht die Absicht hatte, die Macht mit ihnen zu teilen.
Als Kutschma sich vorstellte, wie sich Juschtschenko mit der Bulldogge Oleksandr Wolkow, seinem bisherigen Wahlkampfchef, anlegen würde, musste er lächeln und fürchtete ein wenig für den Ministerpräsidenten. Ihm war natürlich klar, dass der »Havel der Ukraine« Wolkow nicht gewachsen war. Deshalb hatte er für die Unterstützung des bescheidenen Juschtschenko eine weitere Trumpfkarte im Ärmel. Pique Dame. Die scharfe Oppositionelle Julia Timoschenko. Sie dürstete nach Rache für ihr verlorenes Gasimperium. Igor Bakai, der Chef der staatlichen AG »Naftagas«, der Timoschenko das Geschäft entrissen hatte, war Wolkows Mann. Bei Bakai würde sie sicher ihren Kreuzzug beginnen … Andererseits konnte man die wilde Julia, wenn nötig, mit dem alten Fall JeESU bändigen.
Im Januar 2000 waren die Karten ausgegeben. Präsident Kutschma rieb sich die Hände in Erwartung eines spannenden Spiels. Vor ihm lagen von der Verfassung verbriefte fünf weitere Jahre auf seinem Posten.
Zwölftes Kapitel
Zwei in einem Boot – Kutschma nicht gerechnet
Als das Volk der Ukraine seine neue Regierung in Augenschein nahm, kam es aus dem Staunen nicht heraus. Wo waren die alten Apparatschiks geblieben? Warum saß im Sessel des Ministerpräsidenten nicht wieder einer von ihnen, dessen Visage kaum auf den Bildschirm passte? Stattdessen schaute aus dem Fernseher ein junger, gut aussehender Mann mit tadelloser Haltung heraus. An seiner Seite lächelte eine Dame, die als Fotomodell hätte durchgehen können – die Nummer zwei seiner Regierung. In der Gesellschaft der beiden wirkte selbst Kutschma, für den man sich mit so viel Widerwillen entschieden hatte, anders, irgendwie jünger.
Die Regierung Juschtschenko ging vom ersten Tag an mit Schwung ans Werk.
Dabei galt folgende Rollenverteilung: Julia Timoschenko sollte der Motor der bevorstehenden Reformen sein. Für die Gesamtleitung und Absicherung war der Regierungschef zuständig, und irgendwo über ihnen in den Wolken schwebte Präsident Kutschma. Anfangs war das allen recht. Die stellvertretende Regierungschefin hatte alle Handlungsfreiheit. Juschtschenko spielte den obersten Schiedsrichter, der nur dem Präsidenten rechenschaftspflichtig war. Der sonnte sich zufrieden in seinem neuen Image des Reformers und Liberalen.
Julia Timoschenkos erste Aktion als stellvertretende Regierungschefin war eine Reise nach Moskau. Russland beschuldigte die Ukraine seit Langem, aus den Transitleitungen illegal Gas abzuzapfen. Wieder einmal hing die Drohung in der Luft, die Brennstofflieferungen einzustellen. In Moskau gab Julia Timoschenko eine offizielle Erklärung ab, die unter den ukrainischen Eliten einen Schock auslöste. Zum ersten Mal in der Geschichte der ukrainisch-russischen Beziehungen gab ein offizieller Vertreter Kiews zu, dass tatsächlich Gas gestohlen wurde. Außerdem gestand sie die Schulden der ukrainischen Gasverbraucher ein. Die Summe war astronomisch –
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