Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
wiedergutzumachen.
Denn Schuld hatte auch sie.
Die Logik ihres bisherigen Lebens ließ sich wie folgt zusammenfassen: Die politische Karriere war ihr inzwischen wichtiger geworden als das Schicksal des Ehemannes, mit dem sie nicht mehr zusammenlebte. Nein, er war kein Bauer, den sie leichten Herzens opfern konnte. Aber sie war gleichwohl imstande, ihn zu opfern, und wusste das auch. Deshalb litt sie Trauer und Qualen.
Äußerlich gibt sie sich unverändert. Sie bleibt so zielstrebig und von sich überzeugt wie bisher. Vielleicht zeigt sie etwas mehr Emotionen. Auf ihren Pressekonferenzen legt sie sich kaum noch Zügel an. Das Vorgehen gegen ihren Mann nennt sie »die Rache ihrer Feinde«. Seit Julia Timoschenko ein Verhältnis zum Präsidenten aufgebaut hat, sind jetzt zum ersten Mal Vorwürfe gegen Kutschma zu hören. Vorläufig noch indirekt. Sie spricht von schmutzigen Intrigen der Umgebung des Präsidenten. »Ich bin sauber, ich fürchte kein Verhör und kein Gefängnis!«, ruft sie aus. »Aber mir wird angst um ein Land, in dem man so mit Andersdenkenden umspringt!«
Ihr Mann Oleksandr kommt erst nach einem Jahr wieder frei. Da ist sie längst zurückgetreten, in der Opposition und hat selbst hinter Gittern gesessen.
Im Herbst 2000 hat Kutschma die Komödie satt. Julia muss abtreten – nicht nur wegen ihrer wahnsinnigen Politik. Zum ersten Mal hat der Präsident in seiner Umgebung eine Person mit unbeugsamem Willen. Ihr Mann sitzt hinter schwedischen Gardinen, aber sie kämpft gegen die »Umgebung des Präsidenten«. Das ist schlimmer als der »Scheiß«, den sie an der Energiefront verzapft.
Im November 2000 gibt der Generalstaatsanwalt der Ukraine, Mychailo Potebenko, eine sensationelle Erklärung ab. Er teilt mit, in der Ukraine sei eine Gruppe von Kollegen aus Russland tätig, die Fälle von Korruption im Verteidigungsministerium der Russischen Föderation untersucht. Dabei geht es um Schulden von JeESU bei der russischen Armee. Als Julia Timoschenko zum Verhör vorgeladen wird, lehnt sie ab, weil sie keinen Termin frei habe. Sie hat tatsächlich wenig Zeit und viel zu tun. Bald wird sie ohnehin ins Gefängnis wandern, das spürt sie bereits.
Die letzte Aktion der stellvertretenden Ministerpräsidentin Julia Timoschenko ist der Versuch, die Kohleindustrie zu reformieren. Die selbstmörderische Schlacht mit der Donbass-Mafia hatte sie lange vor sich hergeschoben. Dafür bedurfte es wirklich eines besonderen Entschlusses. Im Frühjahr hatte man ihr sogar vorgeworfen, sie stecke mit den Kohlebaronen unter einer Decke. Zu Beginn der Reformen hatten deren Gruppierungen, die nicht nur in Donezk, sondern auch in Charkiw und in Dnipropetrowsk tätig sind, zusammen mit dem Volk Julia Timoschenko applaudiert. Sie hatte nämlich dabei geholfen, den Markt von den Kiewer Konkurrenten zu säubern, die die Kontrolle über die Industriebetriebe der Ostregionen an sich reißen wollten. Auch die Abschaffung der Bartergeschäfte konnte ihnen nicht Bange machen, denn im Jahre 2000 waren die Preise für Metall auf Rekordhöhe gestiegen, sodass in Donezk und Dnipropetrowsk genügend Bargeld vorhanden war.
Ende 2000, als Julia Timoschenko nichts mehr zu verlieren hatte, kam der Donbass an die Reihe.
Sie wusste, mit wem sie sich anlegte. Sie hatte auch den blutigen Gangsterkrieg von Anfang der Neunzigerjahre in der Region nicht vergessen, den heftigsten und grausamsten in der ganzen Ukraine. Sie war sich bewusst, dass die relative Ruhe Ende der Neunzigerjahre der Neuaufteilung des Donbass unter Paten geschuldet war, deren Arme nicht nur bis zu den Ellenbogen, sondern bis zu den Schultern mit Blut besudelt waren. Und sie hatte Informationen, dass das Geld der Kohlemafia des Donbass die schwarze Kasse zur Finanzierung des höchsten politischen Establishments der Ukraine bildete. All das löste bei ihr nicht ehrfürchtiges Entsetzen, sondern zornigen Tatendrang aus. Voller Verachtung blickte sie um sich und sah niemanden, der ihr jetzt noch Angst machen konnte.
Später sagte sie, es habe keine Regierung Juschtschenko gegeben, sondern nur zwei Personen, sie und ihn, den Ministerpräsidenten. Das war kein Selbstlob. Eher ein Kompliment an Juschtschenko. Sie wusste genau, dass der Ruf der »Regierung der Reformer«, die Juschtschenko führte, nicht dem Ministerpräsidenten, sondern ihr zu verdanken war. Nicht umsonst hatte man sie im Jahre 2000 als »den einzigen Kerl« in diesem Kabinett bezeichnet. Ein Pate der
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