Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
so liebevoll gehegten und gepflegten Wirtschaft zu erschüttern. Der Präsident, der zwischen den Clans lavierte, die einen schwächte und die anderen stärkte, glaubte, sich so noch lange im Amt halten zu können. Wenn aber die Clanwirtschaft systematisch ausgerottet und künftig nach ehrlichen marktwirtschaftlichen Regeln gespielt werden sollte, konnte er bald überflüssig werden.
An Julia Timoschenkos Stuhl wurde vom ersten Tag an eifrig gesägt.
Der erste Schlag kam im März: Die Justiz blies den Fall der Slawjanski-Bank kräftig auf, die ihr aus dem früheren Leben nicht unbekannt war. Das war das Werk der benachteiligten Oligarchen, die Julia Timoschenko gewarnt hatten, sie möge nicht zu weit gehen. Außerdem deutete ihr Präsident Kutschma damit an, wo die Grenzen für ihr selbstherrliches Agieren lagen. In diese Richtung zielten auch mehrfache Anrufe des Präsidenten, der sie fragte, ob sie ihr Abgeordnetenmandat bereits niedergelegt habe. Kommentar überflüssig. Das Abzeichen der Abgeordneten scheuten die Staatsanwälte wie der Teufel das Weihwasser. Mit ihrem Eintritt in die Regierung, der nach dem Gesetz ein Parlamentsmandat ausschloss, war Julia Timoschenko der Justiz schutzlos ausgeliefert.
Im April sprach der Präsident zum ersten Mal mit Juschtschenko über einen Rücktritt seiner Stellvertreterin. Als Vollblutpolitiker konnte sich Kutschma so für sein Spiel begeistern, dass er an seine eigenen Worte zu glauben begann. Daher ist unklar, ob er zu diesem Zeitpunkt Julia Timoschenko wirklich loswerden wollte oder nur vor seinen Anhängern so tat, denen er sie zuvor selbst auf den Hals gehetzt hatte. Wie dem auch sei, Kutschma ließ sich besänftigen. Viktor Juschtschenko wollte Julia Timoschenko auf keinen Fall verlieren.
Im Umgang mit dem Präsidenten und der Presse fand Juschtschenko damals und später klare, gewichtige Worte. Fast ein Jahr lang nannte er seine Stellvertreterin »eine Ökonomin von hohem Rang« und erklärte, es sei nur ihrer Leitung zu verdanken, wenn die Ukraine endlich aus der demütigenden Rolle der Bittstellerin zu Füßen des russischen Gazprom herauskomme. Dagegen konnte auch der Präsident nichts einwenden.
Aber Kutschma hielt nicht lange still.
Im Spätsommer folgte ein wirklich harter Schlag. Am 18. August stürmten Angehörige der Sondereinheit »Berkut« die Büros von JeESU. Sie nahmen eine Durchsuchung vor, beschlagnahmten eine Unmenge Geschäftspapiere und verhafteten zwei führende Vertreter der Firma – Oleksandr Timoschenko, Julias Mann, und Waleri Falkowitsch, einen alten Schulfreund.
Für die Öffentlichkeit der Ukraine stand das Urteil schnell fest: Oleksandr Timoschenko musste hinter Gitter, weil er mit Julia verheiratet war …
Julia Timoschenko forderte eine Audienz beim Präsidenten. Der lehnte ab. Daraufhin begab sich der Intellektuelle mit der finsteren Miene, Julias treuer Freund Oleksandr Turtschinow, zum Präsidenten. Dem sagte Kutschma ganz offen: »Sie muss diesen Krieg einstellen. Wer ist sie denn, dass sie alle und jeden entlarven will? Sie steckt selber bis zum Hals im Dreck. Wenn sie mit dem Scheiß nicht aufhört, wird sie bald bei ihrem Mann sein.« Das hatte er nicht in den Wind gesprochen. Das Spiel war aus. Etwas anderes, Schreckliches begann.
Eine absurde Situation: Sie war in Freiheit, in der Regierung, stand faktisch auf Rang drei im Staate – und war doch gegenüber diesem Staat völlig hilflos. Für sie saß eine Geisel im Gefängnis – ihr eigener Mann. Er konnte leicht freikommen, wenn sie »diesen Krieg« einstellte, zurücknahm, was sie bisher getan hatte, die »Beleidigten« beruhigte und ihr Verhältnis zu Kutschma in Ordnung brachte.
Sie musste sich entscheiden.
Die Konstellation erinnerte an eine antike Tragödie. Oder an die Stücke französischer Existentialisten. Sie hatte die Wahl zwischen der Pflicht und dem Leben eines ihr nahestehenden Menschen.
Julia Timoschenkos Entschluss war so ungewöhnlich wie ihre Lage. Sie wollte so tun, als sei nichts geschehen. Weiterarbeiten, als sitze ihr Mann nicht hinter Kerkermauern. Sie wollte ihm die besten Anwälte beschaffen, was immer das auch kosten mochte, alles tun, um ihn freizubekommen. Aber ergeben wollte sie sich nicht. Ihre Rechtfertigung lautete: Wäre es um ihre Freiheit gegangen, sie hätte genauso gehandelt. Als sie sich einmal entschieden hatte, war sie gewiss, dass auch sie hinter Gittern landen würde. Und sei es nur, um ihre Schuld vor Oleksandr
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