JULIA VALENTINSBAND Band 19
Shalvis
Das Glück in deinen Händen
1. KAPITEL
Chloe Cooper war eine Frau, die pragmatisch dachte und ganz genau so handelte. An Dinge wie Vorbestimmung oder so etwas glaubte sie nicht. Nein, für sie war jeder seines eigenen Glückes Schmied. Nach Chloes Meinung hatten die Menschen selbst die Verantwortung für ihr Schicksal.
Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich an diese Überzeugung geklammert und war nicht schlecht damit gefahren: das Studium am College, ihre Ausbildung als Steuerberaterin, und nun besaß sie sogar ihr eigenes Steuerberatungsbüro. Diese Welt war gut so, wie sie war, und das allein durch ihren eigenen Willen.
Natürlich gab es hin und wieder Dinge, die auch Chloe störten. Gerade jetzt zum Beispiel, als sie unter freiem Himmel an diesem Tisch saß, während um sie herum die abendliche Party zum Valentinstag so richtig in Schwung kam. Das Shopping-Center Fairfax hatte das Fest ausgerichtet, und im südlichen Kalifornien herrschte wundervoll mildes und warmes Februarwetter. Der Tag war bestens geeignet, um ihn auf einer Party im Einkaufszentrum zu verbringen, wenn man solche Veranstaltungen mochte – was auf Chloe allerdings nicht zutraf.
Aber die Dinge nahmen manchmal ihren eigenen Lauf, denn normalerweise setzte sich Chloe auch nicht zu Wahrsagerinnen an den Tisch und doch saß sie nun hier. Daher das Unbehagen, das sie empfand, als Isabelle Girard ihre Hand nahm und eingehend betrachtete. Isabelle Girard, die Wahrsagerin, die engagiert worden war, um die Partygäste mit einem Blick in ihre persönliche Zukunft zu unterhalten.
Hm, überlegte Chloe abwesend, es hat wirklich Vorteile, sein eigener Chef zu sein. Sie konnte kommen und gehen, wann immer sie es für richtig hielt. Auf dem Weg aus ihrem Büro quer durch den Innenhof hatte Chloe versucht, sich unbemerkt an dem Tisch vorbeizuschleichen, um möglichst schnell zu ihrem eigentlichen Ziel zu gelangen – zu den Snacks und Erfrischungen. Aber die legendäre Madame Karma, wie sie sich selbst nannte, hatte ihre Augen offenbar überall.
„Setzen Sie sich“, befahl die Frau ohne Widerspruch zuzulassen und zeigte mit dem langen knochigen Zeigefinger auf den Stuhl vor ihrem Tisch.
Wie so oft zog Chloe es vor, einem Streit aus dem Weg zu gehen, und gehorchte, ohne zu wissen, warum. Die milden Winter in Los Angeles brachten es mit sich, dass sie in leichten Röcken und luftigen Sweatshirts zur Arbeit gehen konnte. Wenn das Thermometer über zwanzig Grad im Schatten anzeigte, waren also auch Handschuhe überflüssig – und ihre Hände schienen es der Wahrsagerin angetan zu haben.
Chloe war innerlich zusammengezuckt, als Madame Karma nach ihrer Hand gegriffen hatte. Der Daumennagel war viel zu kurz gefeilt, sie hatte keinen Nagellack aufgetragen und heute Morgen vergessen, die trockene Haut mit Handcreme einzureiben. Sie war Steuerberaterin und blätterte den ganzen Tag in den Akten. Manchmal kam es vor, dass die scharfen Kanten des Papiers ihr beim Blättern in die Haut schnitten. Ihre Hand sah also weder besonders gepflegt noch auf natürliche Weise schön aus. Trotzdem widerstand sie dem Drang, sie unter dem Tisch zu verstecken, um sie den forschenden Blicken der älteren Dame zu entziehen.
„Geben Sie Acht und konzentrieren Sie sich“, mahnte Madame Karma.
Ja, aufgepasst, wiederholte Chloe spöttisch im Stillen, bloß aufgepasst, jetzt wird’s wirklich wichtig. Natürlich viel wichtiger als zum Beispiel … direkt zum Café zu eilen, um sich mit ein paar Köstlichkeiten den Tag zu versüßen.
Madame Karma senkte den Kopf und widmete Chloes Handfläche ihre ganze Aufmerksamkeit. „Hm“, bemerkte sie schließlich geheimnisvoll.
Chloe unterdrückte den Impuls, die Augen zu verdrehen. Gleich kommt die unheilvolle Prophezeiung, dachte sie entnervt und platzte heraus: „Ich weiß. Meine Lebenslinie ist ziemlich kurz, nicht wahr? Nein, falsch … eines Tages werde ich drei Kinder haben, stimmt’s?“
„Nein“, erwiderte Madame Karma, „und ja.“ Sie hob den Kopf. Der Abendwind fuhr ihr durch das leuchtend rote Haar und wirbelte es sanft durcheinander. In der Ferne zuckte ein Blitz am Himmel, zwar nur schwach, aber Chloe erschrak trotzdem.
Gruselig. „ Das klärt die Sache. Vielen Dank“, meinte Chloe und wollte aufstehen. Aber Madame Karma gab ihre Hand nicht frei. „Äh … meine Hand?“
Die ältere Dame legte die Stirn in tiefe Falten und lockerte ihren Griff in keiner Weise, bis Chloe sich widerwillig setzte. „Nein,
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