JULIA VALENTINSBAND Band 21
Nasenrücken – alles zusammen schuf ein Erscheinungsbild, das in Caroline ein solches Sehnen erweckte, dass angesichts dessen ihre Teenagerträume verblassten.
Es packte sie von Neuem, eine heiße Woge von Begehren, bei der sich ihr Magen zusammenzog und die erregende Erwartung ein regelrechtes Feuer in ihr entfachte. Wir haben heute Nacht, dachte sie. Für uns allein. In einer Stadt, die für Liebende gemacht scheint.
Folge deinem Gefühl.
Sieh, wohin es dich führt.
Er wandte sich zu ihr um und sah sie an. Der Blick aus diesen Wolfsaugen schien sie zu verbrennen. „Hier?“
„ … Was?“
„C-33.“ Er machte eine Kopfbewegung in Richtung des grünen Hinweisschildes an der Autobahn, das sie gerade passierten. „Müssen wir da nicht abbiegen?“
„Ach ja, richtig. C-33.“
Aufgeschreckt besann sich Caroline wieder auf ihre selbst gewählte Funktion als Navigatorin und studierte den handgeschriebenen Plan. Kurz darauf befanden sie sich inmitten des lauten Verkehrsgetümmels der Vororte Barcelonas.
„Die C-33 geht nach ungefähr anderthalb Kilometern in die Avenida Meridiana über. Die müssen wir bis zur Avenida Diagonal langfahren.“ Ein braunes Schild erregte ihre Aufmerksamkeit. „Die Avenida Diagonal führt uns direkt an der Sagrada Familia vorbei.“
„An der was?“
„Die Sagrada Familia, die berühmte unvollendete Kathedrale Barcelonas. Es ist eins von Antoni Gaudís Meisterwerken, neben La Pedrera und Casa Batlló.“
Sie schnalzte bei seinem unverständigen Blick mit der Zunge.
„Du hast gesagt, dass du schon zweimal in Barcelona warst. Hast du dir keins von Gaudís Bauwerken angesehen?“
„Nein, es sei denn, er hat die Bar gebaut, in der ich den größten Teil meines Dreitagetrips verbracht habe.“ Er grinste sie ohne jede Scham an. „Zu der Zeit war ich noch in der Armee. Beim zweiten Mal, als ich hierherreiste, war es geschäftlich. Ich bin mittags gelandet und um sieben wieder abgeflogen. Keine Zeit für Stadtrundfahrten.“
„Wie schade. In Barcelona findet man ein paar der großartigsten Architekturschätze der Welt. Vielleicht können wir ja einen kleinen Abstecher oder zwei mit einlegen, während wir hier sind.“
„Vielleicht.“ Sein Blick war schwer zu deuten. „Sieht aus, als wenn wir jetzt zur Avenida Meridiana kommen.“
Nach Carolines fester Überzeugung war Barcelona ein Weltklassemekka für Kunstliebhaber aller Ausrichtungen. Bei vorherigen Besuchen hatte sie Stunden im Picasso-Museum verbracht. Einen ganzen Nachmittag hatte es gedauert, den Montjuïc zu erwandern, Schauplatz der Weltmesse 1929 und nun angefüllt mit den eigenwilligen und wundervollen Skulpturen des großartigen spanischen Künstlers Joan Miró. Doch Gaudís unvollendete Kathedrale hatte wahrhaftig einen unauslöschlichen Eindruck bei ihr hinterlassen.
Deren Türme tauchten in der Ferne auf, sobald sie in die Avenida Diagonal einbogen, stachen in den blauen Himmel mit der hervorstrebenden Kraft der Apostel, die sie symbolisieren sollten. Acht zusätzliche Türme befanden sich noch immer im Bau. Die riesigen Kräne gehörten bereits seit Jahren zum festen Bestandteil der Umgebung des Gotteshauses, dessen Fundamente 1882 errichtet worden waren.
Fest entschlossen, Rory noch zu einem näheren Blick zu überreden, dirigierte sie ihn durch die Avenida Diagonal bis zum Paseo de Gracia, der modernen nordsüdlich verlaufenden Hauptstraße der Stadt.
„Da ist der Springbrunnen, von dem Señor Casteel gesprochen hat, nach dem wir Ausschau halten sollen.“ Sie zeigte auf eine fünfstufige Skulptur, aus der silbrig schimmerndes Wasser hoch in die Luft schoss. „Sein Bürohaus müsste in der nächsten Querstraße sein.“
Dem Plan folgend, bog Rory in ein unterirdisch gelegenes Parkhaus ein und fuhr zu dem Platz neben den Fahrstühlen, der für ihn reserviert worden war. Kurz darauf führte er Caroline in einen lichtdurchfluteten achtgeschossigen Aufgang und blieb abrupt stehen.
„Was ist denn das hier? Ein überdimensionales Schachspiel?“
Sie folgte seinem erstaunten Blick zu dem Fenster am Ende des Flurs. Durch das funkelnde Glas konnte man klar und deutlich das Dach des Gebäudes auf der gegenüberliegenden Straßenseite erkennen.
„Das sind Schornsteine und Luftschächte!“
Begeistert zog Caroline ihn zum Fenster, um die vielen fantasiereichen Figuren näher zu betrachten, die von dem wellenförmigen Dach hervorragten. Unter den Jugendstilskulpturen befand sich ein Wohnhauskomplex
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